Hallo.“ stotterte Niels mir entgegen und sah mich fast schon schüchtern an. Generell schien es ihm nicht gut zu gehen – seine Haare waren leicht grau geworden, die Rasur alles andere als perfekt und das Hemd ungebügelt.
Was machst du hier?“ fragte ich gerade heraus.
Ich... Kann ich reinkommen?“ fragte Niels mit flehendem Blick. Ich nickte und trat einen Schritt zurück, um ihm damit zu bedeuten, einzutreten. Niels kam zur Tür und folgte mir ins Wohnzimmer wo er sich auf den „Besuchersessel“ fallen ließ.
Also. Was machst du hier?“ fragte ich abermals.
Ich... Ich weiß es nicht.“ stotterte Niels uns stierte auf den Boden.
Hat Barcelona dir geholfen?“ fragte ich dann – um das Gespräch irgendwie in Gang zu kriegen, denn die Antwort war offenkundig.
Nein.“ sagte Niels knapp. „Nein, du hattest Recht. Ich... Ich muss wieder zurück in mein normales Leben, in mein Leben hier.“ sagte er und die Enttäuschung war deutlich zu hören.
Was genau ist denn jetzt los? Was ist passiert?“ bohrte ich nach.
Ich weiß auch nicht.“ druckste Niels weiter herum. „Die ersten Tage waren einfacher als in Hobro. Ich hatte ein Hotel am Strand, ich habe versucht es einfach wie einen Urlaub alleine anzugehen. Aber irgendwann...
Irgendwann wird einem klar, dass es kein Urlaub ist.“ beendete ich den Satz, den Niels hatte ausklingen lassen.




Der Strand von Barcelona



Ja... Ich lag im Hotelzimmer und war fix und fertig. Dann hab' ich mich regelmäßig aus Frust vollaufen lassen, und nebenbei irgendwie versucht, einen Job zu finden. Gar nicht so einfach, selbst wenn man keine Ansprüche an den neuen Arbeitsplatz hat. Und irgendwann... Irgendwann bekommt man 'ne Wut.
Ich nickte zustimmend – diesen Wandel hatte ich auch durchgemacht und wusste nur zu gut, wie ekelhaft und machtlos man sich anfühlte.
Aber es hat nichts geholfen. Ich kam Abends aufs Zimmer – und es war immer noch still, meine Mädchen waren immer noch tot.“ Niels' Stimme wurde dumpf und er verstummte. Ich schwieg weiter und wartete darauf, dass Niels weiterreden würde.
Irgendwann habe ich dann doch einen Job gefunden. Eine Kneipe am Strand, nichts besonderes und kein besonders guter Lohn. War so vor ungefähr 'nem Monat. Ich habe fünf Tage die Woche gearbeitet und dazwischen getrunken. Aber dann wurde mir irgendwann klar, dass das auch nichts half. Und das ich wieder zurück musste in mein echtes Leben, nach Hobro.“ sagte er schließlich. Ich nickte wieder nur zustimmend und reichte Niels ein Glas mit Scotch, dass ich ihm in der Zwischenzeit befüllt hatte. Niels nahm es an und nahm einen kräftigen Schluck.
Und was hast du jetzt vor?“ fragte ich weiter. Niels schwieg kurz und schien zu überlegen, ehe er antwortete.
Wieder als Arzt arbeiten. Meine Reputation ist hier nach wie vor sehr gut und ich habe mich offen und fair zurückgezogen damals. Und wenn ich direkt in Hobro nichts finde, dann mit Sicherheit irgendwo in der Nähe.
Und wo willst du wohnen?“ hakte ich nach – mir schwante böses. Niels schien kurz verdattert und brauchte daher einige Zeit, ehe er antwortete.
Na ich dachte, ich ziehe erst einmal wieder hier bei dir ein. Also bis ich etwas anderes finde.“ fragte er unsicher nach. Ich atmete tief durch und überlegte, wie ich das Thema am besten Anschnitt.
Du hast doch sicherlich mitbekommen, dass ich bei Hobro gekündigt habe, oder?“ fragte ich.
Ja, na klar. Wie genau hast du das eigentlich –
Darum geht’s nicht.“ untebrach ich ihn und bei Niels schien der Groschen zu fallen.
Sag' nicht, du hast schon einen neuen Job? Ich meine man liest ja Gerüchte über –
Nein, noch nicht. Ich habe einige Angebote, die ich prüfe, aber noch nichts konkretes.
Also bleibst du doch erstmal hier?
Nein.“ antwortete ich knapp. „Ich ziehe zurück nach Leipzig, Anfang nächster Woche. Meine alte Wohnung steht noch leer und wird übergangsweise ausreichen, bis ich etwas Neues finde.
Niels sah mich niedergeschlagen an. „Na super. Einer kranken Seele gegenüber sehr mitfühlend.“ antwortete er – versuchte er etwa mir ein schlechtes Gewissen zu machen?
Hey, so sehr du mir leid tust – es gibt einen Unterschied zwischen krank sein und sich bemitleiden. Und ich sehe hier kein Krankehnaus, sondern einen Mann mit 'nem Glas Alkohol.“ antwortete ich kalt und Niels schien etwas von der Rolle ob dieser Antwort.
Aber du kannst hier wohnen bleiben, für die erste Zeit. Ich hab' das Haus damals günstig gekauft gehabt und verkaufe es zwar schnellstmöglich, aber ein paar Wochen wird das ja mindestens dauern.“ antwortete ich fast schon beschwichtigend. Niels schien eine Weile nachzudenken, schüttelte dann aber den Kopf.
Bitte Sigurður... Das Wegziehen war mein größter Fehler, und ich ertrage das alleine sein nicht länger. Bitte, lass mich nicht allein.“ sagte er schüchtern. Ich zog eine Augenbraue hoch – war das eine unterschwellige Bitte an mich, hier zu bleiben? Weil er sein Leben nicht auf die Reihe bekam?!
Willst du, dass ich hier bleibe und mein Leben auch auf Eis lege?“ fragte ich deswegen nach.
Was?“ antwortete Niels – so ganz auf der Höhe schien er nicht zu sein. „Nein, natürlich nicht.“ fügte er an.
Sondern?
Wenn in deinem Apartment noch Platz ist, würde ich dort mit einziehen wollen.“ sprach er jetzt endlich aus, was ihm auf der Zunge lag. Ich war baff, damit hatte ich nun wieder nicht gerechnet.
Dir ist schon klar, dass das in Leipzig ist? Deutschland?“ fragte ich vorsichtig nach.
Na und?“ fragte Niels gleichgültig. „Ich habe keinen Job hier und kein Haus. Und als Arzt kann ich Deutschland genauso gut arbeiten wie in Dänemark.




Die Skyline von Leipzig - bald unser beider zuhause?



Sprichst du überhaupt Deutsch?“ fragte ich verwirrt und wunderte mich selbst, dass ich das nicht wusste.
Na klar.“ sagte Niels und das erste Mal seit Monaten schien sich ein leichtes Lächeln auf sein Gesicht zu stehlen. „Wie viel kostet ein Bier?“ fragte er dann in sogar fast sauberem Deutsch. „Als Däne lernt man immer etwas Deutsch in der Schule, und ich lerne Sprachen schnell. Und auch wenn ich nicht davor weglaufen will, aber jeden Tag das gleiche zu machen, den gleichen Weg zu fahren, das gleiche zu sehen wie früher – das wird mir auch nicht gut tun.“ sagte er dann.
Psychoanalysierst du dich grad selber?“ fragte ich amüsiert nach.
Höchstens das bisschen Psychoanalyse, dass man als Hirnchirug regelmäßig an seinen Patienten mitbekommt.“ sagte Niels – er schien tatsächlich etwas gelöst.
Also wenn du dir da sicher bist, spricht für mich nichts dagegen.“ antwortete ich schließlich. „Aber du weißt ja sicher, dass es nur eine Übergangslösung ist. Ich werde dort ja hoffentlich nicht sehr lange wohnen, ich habe –
Ich weiß, ich weiß.“ unterbrach mich Niels hastig – mein Ja schien im zu reichen. „Ich will nur nicht komplett alleine sein, wo ich die Sprache nicht richtig spreche und noch keinen Job habe.“ fügte er an.
Ich nickte bestätigend und fragte weiter. „Und deine Sachen?
Viel hab' ich ja nicht mehr, auch wenn die Versicherung das meiste ersetzt hat. Oder vielmehr finanziell für einen Ausgleich gesorgt hat. Ansonsten bekomme ich meine Sachen sicherlich ohne Probleme weg. Und du?“ fragte er nun zurück.
Meine Klamotten und so bekomme ich problemlos rüber. Die Wohnung da ist noch eingerichtet, die Möbel von hier werde ich wohl entweder nachschicken lassen, wenn ich was dauerhaftes habe, oder die Wohnung Vollmöbliert verkaufen.“ sagte ich und ließ meinen Blick durch den Raum schweifen – eine emotionale Bindung hatte ich zu keinem meiner Einrichtungsgegenstände aufgebaut, so dass das kein Problem werden würde. „Du solltest dich um ein Flugticket kümmern.“ fügte ich nach einer kleinen Pause an.
Wieso? Wann fliegst du denn bitte?“ fragte Niels verduzt.
Morgen, der Flug um 7:00. Aber da müsste noch einiges frei sein.“ fügte ich an und Niels nickte. Er griff in seine Jackentasche und kramte nach seinem Smartphone – die Fortschritte des modernen Zeitalters. Während er begann zu tippen, schoss ihm scheinbar eine andere Frage durch den Kopf. „Und was machst du mit deinem Auto? Ins Handgepäck wird der wohl nicht passen.
Hast du das noch nicht gesehen?“ fragte ich verwundert.
Was nicht gesehen?“ fragte Niels nach.
Der Wagen ist schon weg. Ist gestern Morgen abgeholt worden und wartet aufgetankt in Leipig, wenn ich – wenn wir landen.
Ist der Service nicht schweineteuer?“ fragte Niels skeptisch nach.
Nicht so teuer, wie ein neues Auto.“ antwortete ich – wobei das auch vom Auto abhängig war. „Apropos Auto – wie bist du eigentlich hergekommen?
Mietwagen am Flughafen genommen.“ sagte Niels, ohne aufzuschauen. „Kann ich morgen dann gleich wieder abgeben und wir sparen uns das Taxi.
Ich nickte zustimmend und schwieg, während Niels mit zusammengekniffenen Augen den richtigen Flug oder den besten Preis zu suchen schien. Schließlich packte er das Handy wieder weg und sah auf. „Eine Sache musst du mir noch verraten – wie genau ist es zu deiner Kündigung gekommen?“ fragte er schließlich in die Stille hinein.
Ich lachte und schüttelte den Kopf, begann dann aber zu erzählen – und ich merkte, es tat mir gut, Niels wieder in meinem Umfeld zu haben und auch wenn mich das Zusammenziehen auf Probe nerven würde, war es wohl nicht das schlechteste für mich.





Quellen: Strand, Leipzig