Bundesliga - Bayern-Krise: "Klinsi" will Besen schwingen
Eurosport - So 05.Okt. 14:00:00 2008
Die totale Bruchlandung ist perfekt. Der FC Bayern und Trainer
Jürgen Klinsmann stehen nach dem 3:3 gegen den
VfL Bochum vor einem sportlichen Scherbenhaufen. "Klinsi" hat nun zwei Wochen Zeit, den Besen zu schwingen. Vielleicht fängt der rotationsfreudige Schwabe damit vor der eigenen Haustüre an.
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Klar ist jedenfalls: Nach dem erneut blamablen Auftritt der Münchner dürften die Borsten des Klinsmann'schen Besens wohl aus Stahl sein. "Ich kann es als Trainer nicht akzeptieren, dass eingewechselte Spieler nicht dieselbe Leistungsbereitschaft an den Tag legen, wie ein 34-Jähriger 75 Minuten lang", wetterte der Cheftrainer im "Doppelpass" in Anspielung auf die Auswechslung des überragenden
Ze Roberto, für den
Tim Borowski in der 78. Minute in die Partie kam. "Da werde ich strikt dagegen vorgehen."
Handlungsbedarf gibt es auch für die Bayern-Verantwortlichen. Möglicherweise sollte die Chefetage in Erwägung ziehen, künftig am Eingang Ohrstöpsel an die Zuschauer zu verteilen. Rein provisorisch, versteht sich. Es ist nämlich nicht auszuschließen, dass der Besuch eines Bayern-Heimspiels künftig nicht absehbare Folgeschäden für das Gehör nach sich zieht. Die Unmutsbekundungen der FCB-Fans nach dem Remis gegen Bochum dürften jedenfalls nahezu die Lautstärke eines startenden Düsenjets erreicht haben. "Es tut natürlich ein bisschen weh, aber andererseits kann ich die Fans auch verstehen, weil die Ergebnisse - vor allem in der Bundesliga - nicht so sind, wie wir das von uns erwarten", kommentierte Klinsmann das gellende Pfeifkonzert - und die deutlich hörbaren "Klinsmann-raus"-Rufe.
Bei den Spielern machte sich die Beeinträchtigung des Hörsinns bereits unmittelbar nach dem Schlusspfiff bemerkbar. Das Münchner Starensemble hatte in der Mixed Zone offenbar mit den akustischen Nachwehen zu kämpfen: Jegliche Interview-Anfragen wurden geflissentlich überhört, jede Bitte um ein kurzes Statement ignoriert.
Lukas Podolski: Kein Kommentar;
Michael Rensing: Nein, danke; Ze Roberto: Ich sage nichts. Nur der italienische Torjäger a. D.,
Luca Toni, ließ sich ein paar Worte entlocken. Aber sehr viel mehr als ein ratloses "Wir müssen versuchen, so schnell wie möglich die Fehler zu verstehen, die wir am Ende gemacht haben" kam aber auch dem völlig neben sich stehenden Nationalspieler nicht über die Lippen.
Hoeneß: "Habe es noch nicht begriffen"
Die Spieler und der Trainer waren in Erklärungsnot, der Manager zeigte sich komplett ratlos: "Wir haben das Spiel total kontrolliert, es gab keine Anzeichen dafür, dass wir noch ein Tor kassieren könnten. Ich habe noch nicht ganz begriffen, warum wir am Ende mit einem 3:3 dastehen", gab Uli Hoeneß zu Protokoll.
Dabei ist die Erklärung dafür recht leicht. Erstens: Die Münchner sahen sich schon zehn Minuten vor dem Ende als Sieger. Zweitens: Der FC Bayern stolperte erneut über seine Unzulänglichkeiten im Defensiv-Verhalten. Beim 2:3-Anschlusstreffer offenbarte sich wieder die Schnittstelle in der Innenverteidigung als Achillesferse. Der stümperhafte Versuch, auf Abseits zu spielen, misslang völlig. Dabrowski sagte danke, umkurvte den chancenlosen Rensing und schob locker ein. Beim Ausgleich hingegen gab der Nachfolger von
Oliver Kahn der Kritik an seiner Nominierung zur Nummer eins im Bayern-Kasten neue Nahrung: Rensing irrte im Strafraum der Flanke von
Sinan Kaloglu hinterher, die der am langen Pfosten postierte Grote bequem per Kopf im Tor unterbrachte.
Schubumkehr statt Qualitätsschub
Diese fatalen 120 Sekunden könnten für Klinsmann zu zwei Wochen voller Ungemach auswachsen. "Es brodelt in uns, das ist doch klar", sagte "Klinsi", dem in den kommenden 14 Tagen wegen der anstehenden WM-Qualifikation nur ein Rumpfkader zur Verfügung stehen wird. "Die Mannschaft war sich nach dem 3:1 zu sicher", analysierte Klinsmann. Doch auch der Cheftrainer wähnte die drei Punkte offenbar bereits unter Dach und Fach, als er ohne Not Ze Roberto aus dem Spiel nahm.
Der erhoffte Qualitätsschub erwies sich jedoch als Schubumkehr. Hoeneß fand ebenso wie Klinsmann dann auch deutliche Worte für die später hinzugekommenen Borowski, Lukas Podolski und Jose Ernesto Sosa: "Vielleicht muss sich der eine oder andere eingewechselte Spieler fragen, ob das, was er da abliefert, dem entspricht, wofür er bezahlt wird."
Denn bezahlt werden die Bayern-Profis in erster Linie für Titel und Trophäen. Zumindest in der Bundesliga ist der FCB davon aber momentan meilenweit entfernt. Die Münchner befinden sich nicht einmal mehr in der ersten Tabellenhälfte, und noch schlimmer: Der ruhmreiche Rekordmeister ist nur noch vier Punkte vom Abstiegs-Relegationsplatz entfernt - ein Desaster für die Bayern-Macher.
Totale Geduld und totales Vertrauen
Doch noch genießt Klinsmann die uneingeschränkte Rückendeckung des Vorstands. "Wir haben totale Geduld und totales Vertrauen in Jürgen Klinsmann, mehr kann ich dazu auch nicht sagen", beteuerte Karl-Heinz Rummenigge, gab aber zu Bedenken: "Klar ist, dass wir so schnell wie möglich in die Erfolgsspur zurückfinden müssen."
Klar ist aber vor allem: Eine Handschrift Klinsmanns ist noch nicht zu erkennen, der dauerhafte Fortschritt, den die Bayern-Spieler unter dem ehemaligen Bundestrainer machen sollen, nicht sichtbar. Klinsmann hat nun zwei Wochen Zeit, den Besen in der Säbener Straße zu schwingen. Möglicherweise sollte der rotationsfreudige Schwabe dabei vor der eigenen Haustüre anfangen - ansonsten dürfte bald nicht mehr nur das Trommelfell der Stadionbesucher in Gefahr sein.
Aus der Allianz Arena berichtet Stefan Zürn / Eurosport