Die Trennung von Amanda hatte mich zugegebenermaßen etwas aus der Bahn geworfen, doch mit ein wenig 'Selbsttherapie' bekam ich das ganze relativ zügig wieder in den Griff und so stand ich am Freitag vor dem letzten Saisonspiel mit Niels in meinem Büro und bereitete mich auf den VfL Bochum als nächsten Gegner vor. Oder, um es besser auszudrücken: Mir und auch Niels fielen die Kinnladen bis auf Hüfthöhe, als wir während der Gegnervorbereitung einen Live-Mitschnitt zu einer Pressekonferenz von Investor Hasan Ismaik zu sehen und vor allen Dingen zu hören bekamen.
„...und deswegen erkläre ich hiermit offiziell, mein Amt zum Ende dieser Saison niederzulegen!“
Niels und ich sahen uns an – an Vorbereitung für das nächste Spiel war nicht mehr zu denken und das hatte für uns beide für den Moment auch keine wirkliche Priorität. Soeben hatte Hasan Ismaik vor laufenden Kameras erklärt, den TSV 1860 München ab Saisonende nicht mehr weiter unterstützen zu wollen und seine Aktien am Verein zu verkaufen – was den Verein finanziell vor eine große Herausforderung stellte, denn wenn sich kein liquider Abnehmer finden würde, würde es mit der Lizenz zur kommenden Saison schwer werden – von möglichen Transfers mal ganz zu schweigen.
Keine Viertelstunde später fand ich mich daher vor der Bürotür von Hasan Ismaik – der ausnahmsweise mal in München zu sein schien – wieder und klopfte Sturm, was mir auch nach geschlagenen fünf Minuten Zutritt ermöglichte.
„Ahhh, Herr Mikaelsson, wie schön sie zu sehen.“ hieß mich Hasan Ismaik willkommen und bat mich mit einer einladenden Geste in sein Büro.
„Sparen sie sich die Höflichkeiten, ich –“ ich blieb im Satz stehen und sah mich irritiert um. Das Büro war nur noch schemenhaft zu erkennen und sah im großen und ganzen so aus, als wäre es nach Hiroshima und Nagasaki der dritte Schauplatz des Manhattan Project geworden, während ein gutes Dutzend Polizisten die Regale und Schubfächer des Zimmers durchwühlte, Akten in Kartons packte und dabei alles und jeden missbilligend ansah.
„– was ist hier los?!“ fragte ich und funkelte Ismaik an.
„Eine polizeiliche Durchsuchung, nichts besonderes.“ versuchte dieser, die Sache herunterzuspielen.
„Wie bitte?!“
„Nun ja, solche Sachen passieren –“
„Gegen Herrn Ismaik wird ermittelt.“ erbarmte sich einer der Polizisten schließlich, als er einen Karton an mir vorbei in den Flur bugsierte. „Wegen des Verdachts auf Geldwäsche in Tateinheit mit Veruntreuung und Betrug in Tatmehrheit mit Insolvenzverschleppung.“ sagte er seinen Text auf und mir fielen fast die Augen aus dem Kopf.
„INSOLVENZVERSCHLEPPUNG?!“ fragte ich nach und richtete die Frage an so ziemlich jeden, der sich in Hörweite befand – und bekam keine Antwort. „Wer ist insolvent, er oder der Verein?!“ spezifizierte ich meine Frage.
„Herr Mikaelsson, lassen sie uns doch kurz draußen reden.“ sagte Hasan Ismaik leise und stieß mich vorsichtig zur Tür hinaus.
„Was wollen sie?!“ fragte ich unwirsch.
„Pscht pscht, nicht so laut. Lassen sie uns erst ein paar Schritte gehen.“
„Also gut, nochmal in leise: Was wollen sie?“ fragte ich eindringlich.
„Nun, es scheint, als wäre ich in eine etwas prekäre Lage geraten.“ begann Ismaik, sich zu erklären.
„Kann man wohl so sagen.“ gab ich schnippisch dazu.
„Aber ich kann sie beruhigen, der Verein ist nicht insolvent. Noch nicht.“ Fügte er an.
„Sehr beruhigend!“ gab ich barsch zurück und machte mir nicht einmal die Mühe, den Sarkasmus zu überdecken.
„Ich bin in einer finanziell unglücklichen Lage und habe versucht, mich daraus selbstständig zu befreien. Daher die haltlosen Anschuldigungen der Insolvenzverschleppung.“ erklärte Ismaik weiter.
„Haltlose Anschuldigungen, natürlich doch.“ gab ich verächtlich zurück.
„Sie müssen mir ja nicht glauben.“ sagte Ismaik und setzte ein betont betretenes Gesicht auf.
„Tu ich auch nicht. Und wie sieht es mit den anderen Anklagepunkten aus?“ fragte ich weiter.
„Unschuldig, bis zum Beweis des Gegenteils.“ sagte Ismaik und lächelte selbstsicher.
„Also schuldig.“ stellte ich fest.
„Herr Mikaelsson, ich weiß nicht –“
„Es ist mir scheißegal!“ unterbrach ich ihn und sah, wie die Wut sich in seinen Augen sammelte – er war es ganz sicher nicht gewohnt, dass irgendjemand so mit ihm redete.
„Meinetwegen können sie auf ewig im Knast verrotten oder wieder nach Hause abhauen und sich in Jordanien in einem adäquaten Erdloch verkriechen und vor der Justiz verstecken, von der Welt geächtet und verurteilt zum Tod durch Whirlpool. Ich will wissen, wie es mit dem Verein aussieht!“
„Na schön.“ lenkte Ismaik ein.
„Also?“ bohrte ich nach.
„Der Verein kann zahlen. Die Gehälter aller Spieler und Mitarbeiter werden bis Saisonende gezahlt, danach wird kein auslaufender Spieler- oder Mitarbeitervertrag durch mich verlängert werden. So leid es mir für sie tut, aber dafür ist das einfach Geld nicht da.“
Ich schluckte und nickte langsam und vermied es all die Flüche auszusprechen, die mir in diesem Moment auf der Zunge lagen.
„Meine Anteile an diesem Verein sind ab 12:00 auf dem Markt. Den Verkauf übernehme nicht mehr ich, sondern meine Insolvenzverwalter. Wenn sie Glück haben kommt jemand an die Aktien, der genau so viel Geld und Herzblut in den Verein steckt, wie ich und –“ Ich schaltete ab. Ich wusste, dass die einzige Chance darin lag, dass der künftige Besitzer sich schnell finden und nach Möglichkeit ein Konzept zur Sanierung mitbringen würde, und ich wusste auch, dass Ismaik sich jetzt die nächsten Minuten seines Monologs selbst beweihräuchern würde. Ich stand da und harrte der Dinge, ehe mir der fragende Blick des Geschäftsmannes suggerierte, dass er irgendeine Reaktion meinerseits erwartete.
„Wie bitte?“ fragte ich vorsichtig nach und auch wenn sich Ismaiks Augen zu Schlitzen verengten, wiederholte er seine Frage.
„Ich fragte, was ihr Plan für das Wochenende ist.“
„Als ob sie da einen Dreck drauf geben.“ antwortete ich barsch.
„Das tue ich außerordentlich. Ich mag an der Börse in Asien viel Geld verloren haben, aber mein fußballerisches Interesse ist ungetrübt. Und wenn die Umstände es erlauben, werde ich versuchen, mich wieder in den Verein einbringen zu können.“
„Na schön. Sportlich geht es für uns um nichts, und für Bochum eigentlich auch nicht mehr wirklich. Bochum muss selber gewinnen, auf eine Niederlage von Kaiserslautern hoffen und dabei noch neun Tore aufholen, um noch auf den Relegationsrang zu springen. Deswegen wird es hauptsächlich darum gehen, den Fans nochmal etwas zu bieten – da es ja gut möglich wäre, dass das das letzte Zweitligaspiel für lange Zeit von 1860 ist.“ antwortete ich und funkelte ihn wütend an. „Es geht darum, zu zeigen, dass 1860 ein großer Verein ist und natürlich ist es ein Stück weit Eigenwerbung, um einen Käufer für den Haufen Dreck zu finden, den sie veranstaltet haben.“ ergänzte ich.
„Sehr gut.“ antwortete Ismaik gelangweilt und wandte sich zum gehen.
„Aber eines sage ich ihnen noch: Wenn das BKA ihren Namen erst einmal von der Wand gekratzt hat, werde ich persönlich dafür Sorge tragen, dass hier eine kompetentere Person übernimmt und es ist mir scheißegal mit wie vielen Scheinen sie wedeln – so lange ich hier bin, werden sie niemals wieder auch nur einen Fuß in die Räumlichkeiten dieses Vereins setzen.“
Hasan Ismaik drehte sich langsam um und sah mich mit bösen Augen an. „Sie wagen es, mir so etwas ins Gesicht zu sagen?!“ fauchte er und hob die Stimme.
„Ja.“ antwortete ich gelangweilt und wandte mich seinerseits ab. „Und wenn sie nicht noch Bedrohung auf der Liste ihrer Anklagepunkte wiederfinden wollen, würde ich ihnen raten jetzt leise zu sein.“ Ich hörte ein leichtes Papierrascheln hinter mir und drehte mich um. „Und da ich weiß, was sie für ein Widerling sind, weiß ich auch, was das für ein Umschlag ist, den sie da gerade aus dem Anzug gefischt haben. Es ist mir egal, wie groß die Summe in diesem Umschlag ist, ich werde ganz sicher nicht für sie Aussagen. Und wenn sie mir mit diesem Umschlag näher kommen, gehe ich hier nur kurz den Flur zurück und dann landen sie wegen Versuchter Anstiftung zur Falschaussage für fünf Jahre im Knast, völlig egal was die Ermittlungen gegen sie ergeben.“
Ein paar Sekunden lang standen wir einfach nur da und sahen uns in die Augen, und Hasan Ismaik schien zu verstehen, wie ernst es mir war.
„Ein Jammer...“ sagte er schließlich, während er den Umschlag mit betretener Mine wieder in der Innentasche seines Anzugs verstaute. „Ich hätte sie für klüger gehalten.“ sagte er und wandte sich ab. Ich schnaubte nur verächtlich und machte mich wieder auf den Weg in mein Büro – ich wusste, dass ich von Ismaik nichts zu befürchten hatte und ich hatte Arbeit vor mir.
Quellen: Ismaik, Börse |