Das Leben in München hatte mir in meiner Anfangszeit durchaus gut gefallen. Nach knapp einer Woche im Hotel hatte ich ein Apartment gefunden, auch wenn ich es nicht alleine Bewohnen würde: Das Vier-Zimmer und Zwei-Badezimmer-Apartment im Herzen der Innenstadt Münchens teilte ich mir mit Niels, weswegen ich recht wenig Zeit im Haus verbrachte: Niels war dabei, neben seinem Zimmer auch das Wohnzimmer und den Flur mit Kissen, Teppichen und kitschigem Mist auszukleiden, was nicht nur meinem Geschmack von guter Einrichtung völlig widersprach, sondern zudem für einiges an Unordnung und Lärm sorgte. So fand ich mich in einem kleinen Café in der Nähe wieder, wo ich an meinem Laptop über Informationen über den 1. FC Heidenheim – den ersten Gegner der Löwen in der Rückrunde – brütete.
„Entschuldigen sie, ist der Platz da noch frei?“ riss mich eine sanfte Stimme aus meinen Gedanken. Ich fuhr herum und seufzte auf – genau das hatte mir jetzt im Arbeits- und Umzugsstress noch gefehlt.
„Ja, natürlich doch.“ antwortete ich betont freundlich. „Und wenn sie sich da hinsetzen, ist meiner auch frei.“ fügte ich hinzu und drehte mich wieder dem Laptop zu.
„Sigurður, bitte.“
„Was?!“ fuhr ich herum und funkelte Amanda an.
„Ich... Es tut mir Leid.“ sagte sie leise.
„Ist mir egal.“ antwortete ich und drehte mich abermals ab.
„So schnell wirst du mich nicht los.“ sagte Amanda.
„Wirklich nicht?“ fragte ich sarkastisch, während sich Amanda auf den Platz mir gegenüber setzte.
„Nein.“ sagte sie. „Ich bin schneller als du, glaub mir.“ fügte sie an, als ich anstalten machte, aufzustehen. Da hatte sie wohl recht. Ich seufzte auf, griff in meine Manteltasche und steckte mir meine Kopfhörer in die Ohren.
„Sigurður, ich –“
„ICH KANN DICH NICHT HÖREN!“ schrie ich absichtlich laut, wohl wissend, dass das andere Ende der Kopfhörer gut sichtbar vor meiner Brusttasche baumelte. „DIE MUSIK IST ZU LAUT!“
Amanda verdrehte genervt die Augen und langte über den Tisch, um mir die Kopfhörer aus den Ohren zu ziehen.
„Warum sollte ich dir zuhören?“ fragte ich schließlich und klappte meinen Laptop zu.
„Weil du eh nicht weg kannst?“
„Ich wohne hier in der Nähe, das schaffe ich schon.“
„Na um so besser.“ erwiederte Amanda und grinste schelmisch. Ich rollte mit den Augen.
„Wirklich. Warum sollte ich?“
Amanda sah sich verstohlen um und beugte sich weit über den Tisch zu mir, nicht ohne mir dabei ihren absichtlich ziemlich tief gewählten Ausschnitt zu präsentieren. „Ich kann diese eine Sache mit meinem Finger.“ hauchte sie mir ins Ohr und ich zog eine Augenbraue hoch. Sie ließ sich wieder in ihren Sitz zurückgleiten und legte einen niedergeschlagenen Blick auf.
„Ernsthaft Sigurður. Es tut mir wirklich leid, wie die Sache damals Zuende gegangen ist.“
„Und wenn schon.“ sagte ich kalt.
„Wir hatten uns damals beide geeinigt, dass es nichts ernstes ist. Und du wusstest, dass ich bei so einem Job-Angebot nicht würde ablehnen können. Und umgekehrt hättest du das Angebot aus München auch angenommen, wenn ich noch in Hobro geblieben wäre. Also bitte –“
„Also bitte was?!“ fragte ich wütend zurück.
„Bitte, reiß' dich zusammen. Du predigst immer Objektivität, dann sei auch mal objektiv. Ich habe dir persönlich nichts getan!“ fauchte Amanda und wurde sichtlich unfreundlicher.
„Ich predige auch Offenheit und Ehrlichkeit.“ antwortete ich trocken. „Und davon war wirklich nicht viel zu sehen, als du die Nummer durchgezogen hast. Oder irre ich mich da?“
Amanda schluckte. Wir sahen uns für einen Moment in die Augen, der ewig zu dauern schien, und wir beide wussten, dass ich Recht hatte. Aber da war noch etwas anderes in ihren Augen, es war, als würde ich durch das tiefe, fast schon erdrückende Dunkelbraun ihrer Iris ihre Gedanken lesen können. Es lag etwas fast schon ängstliches in ihrem Blick, eine tiefe Verletzlichkeit.
„Ich weiß. Und ich habe es schon oft genug gesagt, es tut mir leid. Und das meine ich so. Es tut mir leid, wie ich gehandelt habe, nicht, was ich getan habe. Und ich will gerne die Chance nutzen, es wiedergutzumachen. Aber dazu... dazu musst du mir verzeihen.“ sagte sie schließlich und ihre Stimme begann, ein wenig zu beben. Ich wusste, ich musste mich entscheiden – entweder ich würde über Amandas Verrat hinwegsehen und die Beziehung von damals wieder aufnehmen, oder ich würde ihr nicht verzeihen können und Amanda wohl endgültig vergessen müssen. Amanda schien zu bemerken, wie ich mit einer Antwort zögerte, und ich bemerkte, wie sich Tränen in ihren Augen sammelten. „Sigurður... Das damals... die Gefühle... das war alles echt. Und ich bereue es zu tiefst. Bitte...“ ihre Stimme ging in einer Flut von Tränen unter und sie schluckte. So verletzlich hatte ich sie wohl noch nie gesehen, und das behagte mir garnicht. „Verdammt, das versaut mir mein Make-Up.“ schluchzte sie hinterher, vermutlich auch, um abzulenken.
„Du kannst es ja wieder nachmalen.“ sagte ich und meine Entscheidung war gefallen. „Wir haben einen Spiegel im Badezimmer.“
Amanda sah auf und lächelte mich unsicher an. „Danke.“ flüsterte sie. „Dafür geht auch die nächste Runde Kaffee auf mich.“ fügte sie mit wieder fester werdender Stimme an und kramte in ihrer Handtasche nach ihrem Portmonait.
„Die nächste?!“ fragte ich erstaunt nach. „Die nächsten Hundert, mindestens!“ sagte ich. Amanda lächelte.
„In Ordnung.“
„Und glaub ja nicht, dass ich das vergesse. In zwei Wochen schaffe ich die und so schlecht ist meine Erinnerung noch nicht.“ erwiederte ich und stand auf. Amanda hatte mittlerweile Zugang zu ihrem Barvorrat gefunden und legte einen 10€-Schein auf den Tisch, ehe sie ebenfalls aufstand.
„Wie bist du eigentlich hierher gekommen?“ fragte ich und sah mich nach ihrem Auto um.
„Zu Fuß.“
„Zu Fuß?!“
„Ja. Du trinkst gerne Kaffee, du wohnst irgendwo in diesem Viertel. Hat nichtmal drei Stunden gedauert.“
„Du verarschst mich doch wohl, oder?“ fragte ich verblüfft.
„Nein...“ sagte sie und sah mich unsicher an. Wieder standen wir beide nur da und sahen uns in die Augen, auch wenn Amanda diesmal unruhiger wirkte.
„Was?“ fragte ich auf ihren bohrenden Blick.
„Ich wollte mein Make-Up auffrischen.“ sagte Amanda schnippisch.
„Ja, und?“
„Bei dir im Badezimmer!“ erwiederte sie, als läge die Antwort für ihren Blick auf der Hand.
„Ja, uuund?“ fragte ich abermals.
Amanda sah mich mit prüfendem Blick an. „Wirklich? So schlimm, das Ausschnitt zeigen einmal?“
Ich stutzte. „Was?“
„Ich weiß nicht wo du wohnst, du Genie. Und solange du hier in der Gegend rumstehst, finde ich den Weg alleine nicht!“ sagte sie kopfschüttelnd. Ich überlegte einen Moment und fragte mich dann, was nur mit mir los war. „Oh... Natürlich. Hier lang!“ sagte ich und nickte mit dem Kopf über meine Schulter. „Und glotz' mir nicht auf den Hintern, ich merk' das!“ rief ich, während ich mich umdrehte und voran humpelte. Amanda erwiederte nichts, sondern folgte mir stillschweigend zum Apartment, dass ich mir mit Niels teilte. Zu meiner Freude hielt sich dieser aber im Moment wohl nicht in der Wohnung auf, so dass wir alleine waren – nur Amanda, Ich und knapp eine Tonne Hausstaub.
„Sag' nichts!“ rief ich über die Schulter und humpelte ins Wohnzimmer, um meinen Laptop abzustellen. „Das Badezimmer ist da drüben!“ rief ich und deutete mit dem Gehstock in die entsprechende Richtung, eine noch immer etwas von der Rolle scheinende Amanda im Flur zurücklassend.
„Was ist hier denn los?“ fragte ich, als ich nach nichtmal einer Minute wieder in den Flur kam. Amanda hatte scheinbar schnell gemacht, denn sie saß mit wieder perfektem Make-Up auf dem Fensterbrett in meinem Zimmer, welches sich direkt neben dem Badezimmer befand und welches ich vom Flur aus gut sehen konnte. Amanda antwortete nicht und knöpfte langsam den obersten Knopf ihrer Bluse auf. „Was wird das?“ fragte ich abermals und trat ins Zimmer, während ich die Tür hinter mir schloss.
„Ich hab' doch gesagt, ich will es wiedergutmachen.“ sagte sie und sah mir tief in die Augen.
„Du weißt, wie sehr ich auf diesen BH stehe.“
„Na klar.“ antwortete Amanda und kam langsam durch den Raum auf mich zu. „Aber auf das dadrunter noch viel mehr, oder?“ fügte sie hinzu und zwinkerte mir zu, während ihre Hände hinter ihren Rücken zum Verschluss des BHs wanderten.
Quellen: Café, Amanda
|