Ich stand auf und humpelte zum Ausgang. Gerade eben hatte ich knapp 100€ für einen neuen Haarschnitt bei einem ziemlichen guten Friseur in der „Altstadt“ Hobros hingeblättert und wollte nun schnellstmöglich wieder nach Hause. Das kommt euch zu viel vor? Naja, aber ich achtete nunmal auf mein Aussehen und dazu gehörten neben den teuren Anzügen auch mein Haarschnitt, für den 100€ nun auch keine Unsumme waren. Denn es gab auch Leute, die es damit übertrieben – so ließ der japanische Fußballer Keisuke Honda ja Gerüchtehalber jeden Monat seinen Friseur aus Japan einfliegen, als er in Russland bei ZSKA Moskau spielte. Ich trat nach draußen und sah mich um. Meinen Wagen hatte ich ziemlich weit weg vom Friseur abstellen müssen, zu schwer war es hier einen Parkplatz zu finden. Ich seufzte auf, als ich meinen Wagen knapp 200 Meter vor geparkt erkannte und humpelte los. Jedoch blieb ich keine zwei Schritte später stehen, griff in meine Anzugtasche und genehmigte mir zwei Oxycodon – ohne konnte ich mein Bein nicht bis dahin schleppen, denn heute war für das Bein ein schmerztechnisch schlechter Tag. Ich humpelte weiter, als ein mir entgegenkommendes Gesicht meine Aufmerksamkeit erregte. Eine süße, junge Frau, deren Gesicht von dunkelbraunen Haaren umrahmt wurde. Ich drehte mich nach der Frau um, als sie an mir vorbeiging, und versuchte mich zu erinnern – da fiel es mir wieder ein.
„Wahnsinn, ist das ein Prachtarsch!“ sagte ich gut hörbar. Einige Passanten drehten sich mir um, zu meiner Freude auch die Frau mit den dunklen Haaren. Sie bemerkte, dass ich mit meinen Blick sie musterte und ihre Gesichtsfarbe wechselte zu einem dezenten Rot.
„Was fällt ihnen ein, sie Perversling!“ schrie sie mich an und kam mir entgegengestürzt, so schnell sie ihre High Heels trugen. Ich lächelte und streckte meinen Stock in ihre Richtung aus (Und wer von euch hier an etwas anderes als meinen Gehstock denkt, der soll sich schämen). Sie blieb stehen und sah mich finster an.
„Erinnern sie sich wirklich nicht?“ fragte ich amüsiert. Das Gesicht der Frau wandelte sich von wütend zu fragend und sie schien in ihren Gedanken nach mir zu suchen.
„Wieso sollte ich das?“ fragte sie mich dann. Ihr wurde merklich unwohl dabei, wie viele Passanten mittlerweile stehengeblieben waren und uns wie hungrige Wölfe umringten.
„Wisssen sie, ich habe sie auch auf den ersten Blick nicht erkannt. Aber bei dem Hüftschwung und dem Hintern ist es mir dann klar geworden.“ sagte ich und stieß sie mental in die richtige Richtung.
„Wer sind sie und was wollen sie?!“ fragte sie, mittlerweile merklich gereizt.
„Wirklich? Sie wissen es nicht?“
„Nein, wieso sollte ich sie auch kennen?“
Mir gefiel das Ratespielchen hier, und ich ließ den Stock sinken.
„Vielleicht fällt es ihnen ein, wenn sie mich küssen?“ fragte ich dann und grinste schelmisch.
„Das ist die mit Abstand schlechteste Anmachmasche, die ich je mitbekommen habe.“ sagte die Frau und drehte sich weg.
„Nein, wir kennen uns wirklich.“
„Dann sagen sie mir verdammt nochmal, woher!“ keifte die Frau.
„So ist es doch viel lustiger, oder?“ gab ich zurück und sah amüsiert in die Runde. Noch amüsanter wurde es, da jeder der stehengebliebenen Passanten meinem Blick auswich und die wenigen, zu denen ich Augenkontakt herstellte, sich wegdrehten und Anstalten machten, weiterzugehen.
„Nein, absolut nicht!“
„Ich bitte sie, raten sie. Oder brauchen sie noch einen Tipp?“
„Ich will nicht raten, ich will eine Antwort und in Ruhe gelassen werden!“
„Wirklich?“
„Ja, wie oft denn noch!“
„Na gut... Ich bin der Isländer.“ sagte ich dann und versuchte, in ihrem Gesicht zu lesen, ob sie sich jetzt an mich erinnerte. Das tat sie, auch wenn sie sich nicht zu freuen schien.
„Keine Ahnung, ich kenne niemanden aus Island. Und jetzt lassen sie mich in Ruhe!“ sagte sie gereizt, drehte sich um und ging weiter. Na schön, sie hatte es nicht anders gewollt.
„Wirklich? Und was ist mit dem, den sie vor ein paar Monaten auf der Grillparty einer Arbeitskollegin flachgelegt haben?“ Die Frau blieb stehen. „Sie hatten damals eine Wette mit einer Freundin, wer von ihnen in einem Monat Lover aus mehr Ländern haben kann. Sie haben mich genommen, obwohl sie mich wohl nicht allzu sehr mochten, also lagen sie da noch knapp hinten. Aber in ihrer Position verdienen sie nicht so viel, dass sie sich so eine Handtasche da kaufen würden und die passt auch nicht ganz zu ihrem Stil, trotzdem ist sie dem Anschein nach schon oft benutzt worden, also haben sie sie wohl bei der Wette gewonnen und reiben es ihrer Kollegin jetzt unter die Nase. Circa 75% der rund 275.000 Ausländer in Dänemark kommen aus anderen Ländern Skandinaviens, nochmal gut 10% aus England oder Deutschland. Deswegen denke ich, sie haben am Ende gewonnen mit acht zu sieben Nationen und die eine, die sie mehr hatten, war Nigeria.“
Amanda sah mich ungläubig an, und auch die Passanten, die vorher leise getuschelt hatten, sahen schweigend auf mich.
„Wie kommen sie darauf?“ fragte sie ungläubig.
„Sie sind stolz darauf und tragen ihren Gewinn mit sich rum, also muss es knapp gewesen sein. Die eben angesprochenen sieben Länder hatten sie wohl beide, am Ende hatten sie eine mehr. Das an ihrem Handgelenk nennt sich Ombre Claire, das ist typisch für Nigeria. Der letzte, entscheidende Typ hat ihnen das geschenkt und sie behalten es, weil sie mit ihm den Sieg verbinden – also, hab' ich recht oder nicht?“
Amanda sah mich weiter ungläubig an, nickte aber dann und kam mir entgegen. „Gut, sie haben gewonnen. Ich gehe mit ihnen einen Kaffee trinken, aber sie halten im Gegenzug bitte ihre Klappe.“ sagte sie dann leise.
„Ich will mit ihnen garnicht Kaffee trinken gehen.“ protestierte ich amüsiert.
„Na und? Los, ich kenne hier ein gutes Café in der Nähe und ihr Wagen steht ja gleich da vorne. Ich lad' sie ein, schließlich habe ich ja auch dank ihnen gewonnen.“
„Am Ende war es also wirklich nur ein Typ mehr?“
„Ja, Acht zu Sieben, wie sie gesagt haben. Das war wirklich... beeindruckend.“ sagte sie, während wir langsam in Richtung meines Autos gingen und die staunenden Passanten zurückließen.
Keine zehn Minuten später standen wir schon in einem kleinen Café in der Nähe und warteten darauf, unseren Kaffee zu bekommen.
„Also, warum wollten sie mit mir hier her?“ fragte ich Amanda. Diese schien zu überlegen und sah mich lange still an, ehe sie antwortete.
„Ganz einfach – sie gehen nicht gerne unter Leute. Da dachte ich mir, das kann ich ihnen ruhig antun, nachdem sie mich in der Öffentlichkeit so bloßgestellt haben.“
„Ach ich bitte sie, „bloßgestellt“. Wer sowas nicht an die große Glocke gehängt haben will, der sollte es erst garnicht machen, finde ich.“ sagte ich.
„Es macht aber Spaß, das verstehen sie sicher.“
„Achja?“ fragte ich zurück und zog eine Augenbraue hoch.
„Na klar, und ihnen hat es damals doch auch Spaß gemacht, oder etwa nicht?“
Ich wollte gerade antworten, doch Amanda fuhr dazwischen und recihte mir einen Pappbecher mit Kaffee. Er roch gut, und dem Anschein nach waren beide Becher mit schwarzem Kaffee gefüllt – wenigstens von Kaffee schien sie also Ahnung zu haben, dachte ich bei mir – obwohl sie ja Vegetarierin war und damit einen eher mäßig guten Geschmackssinn verkörperte. Ich sah mich nach einem Sitzplatz um, doch sie stieß mich in den Rücken und sagte. „Der ist zum mitnehmen, sie Genie. Wäre nett von ihnen, wenn sie mich nach Hause fahren könnten.“
„Wollten sie mich nicht damit nerven, dass wir hier in der Öffentlichkeit sind?“
„Ja schon, aber ich wollte sie nur ein bisschen nerven, nicht ewig foltern. Ich denke, die zehn Minuten reichen erstmal aus.“
Ich nickte stumm und humpelte ihr voraus zu meinem Auto, das ich diesmal direkt vor der Tür hatte parken können.
„Also, wo wohnen sie?“ fragte ich. Ich wusste selber nicht genau, warum ich das machte, aber ich hatte das Gefühl, es würde sich lohnen.
„Nedre Strandvej 74.“ antwortete Amanda.
Ich überlegte kurz, doch dann konnte ich der Addresse ein Bild zuordnen. Der „Untere Strandweg“, was der Name übersetzt bedeutete, lag an der Nordseite der Bucht in Hobro und damit quasi gegenüber vom Sportcenter Hobros und auch in der Nähe des Krankenhauses. Die Fahrt ging schnell und leise von statten, wir beide sagten nichts und tranken dafür den Kaffee aus. Als wir da waren, hielt ich an – das Haus war imposant und dennoch machte meine Beifahrerin keinerlei Anstalten, auszusteigen.
„Wollen sie nicht aussteigen?“
„Wollen sie nicht mit reinkommen?“ fragte mich Amanda und grinste schelmisch.
„Auf einen Kaffee?“
„Eigentlich mehr als einen Kaffee...“ sagte sie und grinste weiter.
„Moment, ZWEI Kaffee?“ fragte ich und stellte mich absichtlich doof.
„Na klar. Jetzt kommen sie schon.“ sagte Amanda im aussteigen und ich stieg aus. Ich ging um den Wagen herum und die Einfahrt hinauf zur Haustür. Amanda stand schon im Wohnzimmer – sie dachte garnicht daran, Kaffee zu kochen.
„Was wird das denn?“ fragte ich, ehe ich mir die Frage selbst beantworten konnte.
„Nun, der Nigerianer war zwar der letzte – aber du warst sicherlich der beste!“ sagte sie und zog mich zu sich heran.
„Amanda, ich –“
„Oh nein, sei bloß still!“ fauchte sie mich an, während sie mein Hemd aufknöpfte. Was danach passierte, brauche ich euch ja jetzt nicht im Detail auszumalen – das schafft ihr schon selbst. Aber ich kann euch zumindest sagen, dass man auch ohne große Bewegungsfreiheit im Bett eine Menge Spaß haben kann, wenn man so jemanden wie Amanda dabei hatte. Erst nach knapp drei Stunden kamen wir wieder dazu, zu reden – und ich musste gleich mal eine Frage loswerden.
„Also sag mir eins – warum das? Ich dachte, ich wäre beim letzten Mal nur der aus dem richtigen Land gewesen?“ fragte ich, ein wenig außer Atem.
„Das schon. Das heißt aber nicht, dass ich dich nicht heiß finden kann, oder?“ fragte sie schelmisch.
„Gut, Punkt für dich. Aber jetzt muss ich langsam wieder los, glaube ich... Wenn du also –“ sagte ich und nickte mit meinem Kopf nach oben zu meinen Händen, die noch immer in Handschellen ans Bettgestell gefesselt waren. Amanda zwinkerte mir zu und kramte in ihrem Nachttisch nach dem Schlüssel.
„Ich melde mich, wenn ich mal wieder das Verlangen nach etwas... Isländischem habe.“ sagte sie, während sie mich losmachte. Das könnte ja heiter werden, dachte ich mir, während ich mir die Handgelenke rieb und nach meinen über den Boden verstreuten Sachen sah...
Quellen: Hintern, Kaffee, Amanda |