Es war ein Samstagabend, der Fußballfrei war – für mich eigentlich undenkbar, doch durch die Verlegung der Begegnung gegen Silkeborg auf den Freitagabend durchaus möglich. Ich hatte es sogar geschafft, morgen auschlafen zu dürfund dem Frühstück mit Niels und seiner Familie aus dem Weg zu gehen – im Gegenzug würde ich dafür in etwa zehn Minuten zu ihm gehen und mit seiner Frau und einigen ihrer Arbeitskollegen und -kolleginnen zu grillen. Das war für mich ein durchaus guter Tausch – ich konnte morgen zu einer Uhrzeit aufstehen die mir gefiel, ich konnte meinen Kaffee trinken und ich könnte mal wieder gegrillten Grillkäse essen und keinen aus der Pfanne.
Als ich bei meinen Nachbarn im Garten ankam bemerkte ich zu meiner Erleichterung, dass ich in Anzug und Hemd keineswegs Overdressed war. Der Garten war voller als sonst, ich zählte 12 Gäste. Da ich jedoch mit vornehmer Verspätung von einer halben Stunde gekommen war, war ich mir sicher, dass das alle waren – und mich heute Abend keine schreienden Kleinkinder umringen würden.
„Ahh Sigurður, da bist du ja endlich!“ hieß mich Niels mit einer ausladenden Armgeste willkommen. Ich nickte zur Begrüßung nur stumm und schielte zum Grill – perfekt. Ich hatte meine Verspätung gut getimed und war im richtigen Moment aufgetaucht, um den Smalltalk auf ein minimum beschränken zu können und dennoch vor Essensbeginn da zu sein, denn gerade wurden die ersten Würste aufs Rost gelegt. „Ich dachte schon, du kommst doch nicht. Ich war schon ganz enttäuscht!“ lachte Niels.
„Jaa, der Verkehr war heute ziemlich übel.“
„Sehr witzig. Komm', nimm dir ein Bier und setzt dich, noch hast du freie Platzwahl.“
Ich tat wie geheißen und setzte mich so nahe wie möglich an den Grill, von dem langsam das Aroma der Bratwürste den Kohlegeruch zu überdecken begann. Ich nahm einen Schluck und verschluckte mich fast bei dem Geschmack. Das Bier – das wohlgemerkt einzige Bier hier und heute – war ein billiges Supermarktbier. Ich war ohnehin mehr der Scotch- als Biertrinker, dennoch hätte ich in Dänemark erwartet, in reichem Hause etwas von Carlsberg in die Hand gedrückt zu bekommen und kein billiges Gesöff. Ich nahm ein Kichern wahr und sah zur Seite. Neben mir hatte sich eine Frau hingesetzt, die mein fast-ersticken am Bier scheinbar zutiefst komisch fand. Sie zwinkerte mir zu und begann sogleich, mich in ein Gespräch zu verwickeln.
„Hi, ich bin Amanda. Sie sind Sigurður, wenn ich das richtig mitbekommen habe?“ Na großartig, dachte ich mir. Keine fünf Minuten hier und du hast nicht nur ein billiges Bier in der Hand, sondern auch noch gleich die erste Quasselstrippe neben dir. Ich musterte die Frau, die einen unverkennbaren englischen Akzent hatte. Sie war wahrscheinlich erst seit einer Generation in Dänemark, höchstens zwei. Sie war jung, durchaus attraktiv und hatte – für Dänemark ungewöhnlich – rabenschwarze Haare. Ihr fragender Gesichtsausdruck sagte mir, dass ich wohl schon zu lange auf eine Antwort wartete.
„Ja. Was wollen sie?“ blaffte ich zurück, etwas unfreundlicher als ich es eigentlich geplant hatte.
„Ähm... Nichts, nur... Naja... Smalltalk?“ Sagte sie verduzt – oder doch verlegen? Sie fuhr sich mit dem Finger durch die Haare und kicherte nervös. Die wollte eindeutig mehr als Smalltalk, das war klar.
„Was haben sie mitgebracht?“ versuchte die Frau, das Thema zu wechseln.
„Wie bitte?“
„Naja, fast jeder hier hat etwas mitgebracht. Fleisch, Wurst, Salat, Irgendwas eben. Von mir ist der gemischte Salat dort.“
„Tja, davon wusste ich nichts. Ich hab nichts mitgebracht.“ So war das hier üblich? Eigentlich könnte ein Gastgeber auch selber für Essen sorgen, fand ich. Erneut schien mein Gegenüber nach Worten zu suchen, um die Konversation am Leben zu halten.
„Sehen sie, der Salatlöffel ist Handgeschnitzt aus Villarosa, einem kleinen Ort in Italien.“
„Ach ja? Faszinierend, meiner ist aus Holz.“ gab ich nur bedingt interessiert zurück.
„Wollen sie nicht mal probieren?“
„Ist da Fleisch drin?“
„Ähm... Nein, es ist Salat und sowieso – ich bin Vegetarierin.“
Na klasse. Das wurde ja immer besser hier, dachte ich mir und seufzte laut auf. Immerhin waren die ersten Bratwürste fertig und ich konnte eine der Würste abgreifen.
„Sie sind wohl kein Vegetarier?“
„Oh, woran haben sie das nur bemerkt?“ gab ich schnippisch zurück und biss in meine Wurst. „Wenn Gott gewollt hätte, dass wir keine Tiere essen, dann hätte er sie nicht so lecker gemacht, denke ich.[/COLOR]“
„Na immerhin glauben sie an Gott.“
„Auch nicht wirklich.“
„Sie sagten doch gerade-“
„Jemand, der sich freiwillig von der Spitze der Nahrungskette entfernt um Grünzeug zu futtern, glaubt doch sicherlich nicht an die Evolution. Da wollte ich ihnen ein wenig entgegenkommen.“
„Sie glauben also nicht an Gott?“
„Ich glaube an Wissenschaft. Wissenschaft fliegt einen zum Mond, zum Mars, irgendwohin. Religion höchstens in Wolkenkratzer.“
Mit so einer Antwort hatte sie wohl nicht gerechnet und endlich schien mein Plan aufzugehen, mal etwas meine Ruhe zu haben. An alle, die das hier lesen: Ich war nicht Anti-Muslimisch und ich wusste sehr wohl, dass Terroristen die Religion verdrehten. Dennoch konnte ich Religion absolut nichts abgewinnen und konnte auch nicht verstehen, warum manche Menschen stolz darauf waren an etwas zu glauben, dass nicht real war. Ich genoss die Zeit, die ich jetzt in Ruhe für mich hatte, denn meine „Bekanntschaft“ hatte sich erstmal etwas Salat aufgetan und beachtete mich momentan nicht. Mit einer so resoluten Abweisung zweier ihr wichtigen Standpunkte hatte sie wohl nicht gerechnet. Dennoch fing sie sich im laufe des Abends wieder und mir gelang es durch das zeitweise Vortäuschen von Interesse an ihr, zumindest weitere Konversationen zu vermeiden. Dabei war an dieser Frau wirklich garnichts interessant. Sie war eine Kollegin und Freundin von Niels' Frau, hatte also einen Bürojob bei einer Bank. Genau genommen war sie „Verwaltungsassistentin“, was nach kurzer Joberklärung nur ein gehobener Titel für eine Sekretärin zu sein schien. Auch ansonsten schien sie ein absolutes 08/15-Leben zu führen, wie man es von einer Sekretärin eben erwartete. Doch die Frau schien sehr angetan von mir zu sein, was ich mir nicht erklären konnte – ich heuchelte teilweise Interesse, versuchte in keinster Weise charmant oder irgendwas zu sein – und dennoch kippte sich die Angelo-Dänin mit einer Leidenschaft Alkohol in die Birne, dass sie fest damit zu rechnen schien, nicht mehr Autofahren zu müssen. Am Ende erbarmte ich mich dann und ließ sie „bei mir“ schlafen, nicht ganz ohne Hintergedanken.
Ich wachte auf und sah auf die Uhr: Es war kurz vor 8:00, ich hatte also noch eine halbe Stunde bis ich zur Arbeit musste. Ich drehte mich auf die Seite und sah auf den nackten Frauenrücken neben mir. Die Erinnerung kehrte wieder, wie sich Amanda nicht mit dem Sofa als Gästebett zufrieden gegeben hatte und dann – auch durch den Alkohol – eins zum anderen geführt hatte. Ich stieß die Frau neben mir an, um zu sehen ob sie bereits wach war. Sie grummelte etwas und drehte sich zu mir um.
„Hey, bist du schon wach?“
„So einigermaßen, wieso?“ gab die Frau leicht angefressen zurück.
„Ich würde nur gerne über gestern reden. Das war ein Fehler und eine einmalige Sache, und ich-“
„Oh, schon gut.“ unterbrach mich Amanda.
„Wirklich?“ Damit hatte ich nun garnicht gerechnet.
„Oh, du denkst doch nicht, dass jede Frau gleich aus jedem One-Night-Stand eine Beziehung machen will?“
„Natürlich nicht, es kam nur überraschend nachdem du gestern nichtmal mit einer Zange aus meinem Haus zu bekommen warst...“ gab ich zurück.
„Ach das... Weißt du, ich wollte es dir eigentlich nicht gleich jetzt so direkt sagen, aber du solltest das verkraften. Ich habe mit einer Freundin eine Wette laufen, wer in einem Monat Lover aus mehr Ländern kriegen kann – und du warst mein erster Isländer, also...“
Ich war überrascht. Eigentlich traf es überrascht nicht mal im Ansatz, aber ein besseres Wort fiel mir dazu nicht ein. Denn Amanda hatte meine Sprachlosigkeit genutzt, war schnelaufgestanden, hatte sich ihre Klamotten geschnappt und war ins Bad getrippelt. Keine fünf Minuten später war sie aus der Dusche wieder raus und stand voll angezogen vor mir. Sie verabschiedete sich mit einer Umarmung von mir und verschwand aus der Tür, nicht ohne mir im Herausgehen nochmal effektvoll ihre Hüftbewegungen zu präsentieren. Ich musste fast lachen und ließ mich wieder in die Kissen fallen – das versprach ja eine sehr nette Zeit zu werden hier in Dänemark – und Amanda schien ja doch nicht so langweilig zu sein...
Quellen: Bratwurst, Amanda
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