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Die Demontage des Lucien Favre
Dass ein Trainer nach zuletzt sechs Niederlagen in Folge und einem letzten Tabellenplatz seinen Platz räumen muss, ist im Profigeschäft nichts Außergewöhnliches. Doch was sich vor der Entlassung von Lucien Favre in Berlin so abgespielt hat, ist schon bemerkenswert. sportal.de blickt zurück.
Rückblick, 7. Spieltag: Wir befinden uns in Hoffenheim. Nach einem angeblichen 40 Minuten langen und betretenen Schweigen in der Kabine trotten die Hertha-Profis nach dem 1:5-Desaster in Richtung Vereinsbus. Nur ein Angestellter des Vereins stellt sich den wartenden Journalisten. Michael Preetz, Sportdirektor in der Ausbildung, diktiert in die Blöcke der schreibenden Kollegen: "Lucien Favre ist der richtige Trainer für Hertha BSC. Er hat unser vollstes Vertrauen."
Währenddessen erinnert sich Nationalspieler Arne Friedrich an seine Rolle als Führungsspieler und stellt sich der wütenden Anhängerschaft. Geduldig lässt er alles über sich ergehen, bis er dann folgenden Satz äußert: "Was soll ich denn machen? Die meisten Spieler im Kader verstehen meine Sprache doch gar nicht."
Welche Rolle spielte Arne Friedrich?
Es ist wahrlich keine leichte Zeit für Friedrich, der seit Wochen in einer instabilen Abwehr verzweifelt seine Form sucht. Und dann ist da noch dieses Gerücht, was seit längerer Zeit kursiert. Da soll Preetz doch eines Tages auf Friedrich zugegangen sein und diesen offen gefragt haben, ob er bewusst gegen den Trainer Lucien Favre spiele.
Da kommen doch Erinnerungen an den 34. Speiltag der letzten Saison hoch. Obwohl er von allen Seiten bedrängt wurde, Friedrich spielen zu lassen, setzte Favre den Abwehrspieler auf die Bank. Das Ergebnis ist bekannt. Hertha ging beim Absteiger Karlsruhe mit 0:4 unter und verspielte gleichzeitig auch die Qualifikation für die Champions League.
Zurück zum Alltag
Genug alte Geschichten. Es ist Montag und bevor sich die alle Beteiligten zu dem groß angekündigten Krisengespräch an einem runden Tisch setzen, darf Favre noch das Morgentraining leiten. Das tut er wie immer. Getreu seiner Philosophie, junge Spieler zu formen und sie nach und nach besser zu machen. Favre schnappt sich den kolumbianischen Last-Minute-Transfer Adrian Ramos inklusive seines Dolmetschers zum konzentrierten Einzeltraining. Torschusstraining steht für den Stürmer auf dem Programm. Nach einer Weile gibt es Erfreuliches zu vermelden. Der 23-Jährige trifft dank der Anweisungen Favres in schöner Regelmäßigkeit das Tor.
Favre ist jetzt immer noch der richtige Mann. Irgendwie eine bemitleidende Szene am Rande des Trainingsalltags. Aber auch die neue Realität bei der Hertha. Favre muss sich aus Kostenzwängen mit jungen, unfertigen und unerfahrenen Spielern in den schweren Spielen der Bundesliga und der Europa League beweisen. Wären noch ein Marko Pantelic oder Andriy Voronin im Kader, hätte Favre an diesem Morgen seine viel gelobten taktischen Spielzüge auf dem Trainingsplatz wieder und wieder geübt.
Ein Co-Trainer verliert die Nerven
Weg vom Torschusstraining. Es ist der große Moment von Co-Trainer Harald Gämperle: "Hertha BSC hat noch nie einen so guten Trainer wie jetzt gehabt, aber die Spieler merken das nicht und machen hinter dem Rücken des Trainers Politik, und so etwas geht überhaupt nicht. Wenn ein paar Spieler solche Leistungen abliefern, dann muss man sich schon fragen, welche Interessen diese Spieler haben." Gämperle weiter: "Auf was warten die Spieler? Auf den lieben Gott?"
Ausgerechnet der sonst so stille und konzentrierte Gämperle. Vielleicht ahnt der engste Vertraute von Favre zu diesem Zeitpunkt schon längst, dass die Zeit für ihn und seinen Chef abgelaufen ist. Wenige Meter weiter ist er emotionale Ausbruch von Gämperle auch den ersten Hertha-Profis zu Ohren gekommen. Ein Spieler, der nicht genannt werden will, äußert sich: "Unfassbar, wie kann ein Mann in so einer Situation so sehr Partei gegen die Spieler beziehen. Da muss der Verein doch einschreiten."
Abgang mit Begleitschutz
Derweil ist das Training zu Ende. Von einem Ordner begleitet, geht Favre lächelnd und mit einer hilflosen Gestik vom Platz. Diesen Begleitschutz gab es zuletzt bei Huub Stevens, als er die Hertha nach der 1:6-Pokalpleite in Bremen verlassen musste.
Favre ist also wortlos Richtung Krisensitzung oder besser gesagt Entlassung verschwunden. Warum Favre Ramos noch das Toreschießen beibringen sollte, bleibt dem Betrachter ein Rätsel. Denn schon am Sonntagabend stand die Trennung fest. Preetz hatte da seinen Mannschaftskapitän schon längst über die Pläne des Vereins informiert. Favre kämpfte in der anberaumten Krisensitzung vergebens um seinen Job.
Nun übernimmt also Karsten Heine als Interimscoach die Mannschaft. Doch bis Sonntag gegen den HSV ist noch viel Zeit. Und wenn tatsächlich an der Bild-Geschichte etwas dran ist, dass Lothar Matthäus ein ernsthafter Kandidat für die Nachfolge von Favre ist, melden wir uns wieder. Bestimmt. Es wird sich lohnen.
Tom Broocks
Quelle: http://www.sportal.de
Friedrich würde ich als Spielführer absetzen![]()
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