09 - Schwere Entscheidungen


Porto, Portugal - 14. Juli 2017


Ich sass neben meinem Vorgesetzten Sérgio am Fenster und freute mich, endlich wieder nach Hause zu kommen. Die Sonne schien und der blaue Himmel, den ich durchs Flugzeugfenster über der Hafenstadt Porto beim Anflug auf den Flughafen erblickte, war fast schon zu kitschig. Ich freute mich auf meine Frau und mein ungeborenes Kind, auch wenn die Reise durch Nordamerika ein grosser Erfolg gewesen war für mich persönlich, und ich grossen Spass hatte. Nun aber wollte ich zurück mit meiner Frau in Guimarães ein paar Tage geniessen, bevor es dann in die finale Vorbereitungsphase gehen würde.


Als wir uns verabschiedet hatten und ich in die Ankunftshalle trat, wurde aber meinen Hoffnungen ein schwerer Dämpfer versetzt. Ich erblickte dort nämlich nicht meine Frau Susana, sondern meine ältere Schwester Raquel, die mich mit einem Blick ansah, der mich definitiv nicht mit Freude erfüllte. Mein Herz rutschte in meine Hose, als ich rasch auf sie zuging: „Raquel, ist etwas passiert?“ fragte ich sofort aufgebracht. „Diogo…“ begann meine Schwester, die schon so oft Vorbild für mich gewesen war und nun niedergeschlagen wirkte.. „Susana wird nicht kommen. Sie hat mich gebeten, dir zu sagen, dass sie zu ihrer Mutter nach Lissabon gefahren ist. Sie braucht Abstand..“ Meiner Schwester standen Tränen in den Augen, während mir selber die Kinnlade herunter fiel. „Ich.. Warum? Was habe ich getan?“ fragte ich immer noch perplex, da unsere Beziehung bisher immer derart harmonisch verlaufen war. „Susana kommt nicht mit deinem neuen Job klar. Du bist viel unterwegs, Bruderherz. Sie braucht dich, und du bist nicht da. Du hast eine Wohnung in Porto, wirst immer wieder nicht nach Hause kommen und auch oft im Ausland sein. Und das jetzt, wo du und Susana euer erstes Kind erwartet. Aber ich verstehe, dass du auch deinen Traum leben musst.“ sagte Raquel mit glasigen Augen und umarmte mich. „Komm, wir fahren zusammen nach Hause. Mama und Ana freuen sich auch, dich zu sehen.“ Sie legte den Arm um mich und gemeinsam gingen wir schweigend zum Parkhaus.


Eineinhalb Stunden später sass ich mit meiner Mutter und meinen beiden Schwestern in der Wohnung, wo ich aufgewachsen war. Die Fahrt von Porto hierher war ein Albtraum gewesen. Ich hatte Bauchschmerzen gehabt, meine Gedanken waren wirr umher geschweift. Raquel hatte sich auf die Strasse konzentriert und so hatten wir kaum miteinander geredet. Ich war geschockt - Nie hätte ich mir vorstellen können, dass die Beziehung von Susana und mir vor so eine Probe gestellt werden könnte. Susana hatte mir immer Mut gemacht, für meine Ziele zu kämpfen. Nun aber, da ich auf einem guten Weg war, kam sie offensichtlich nicht damit klar. Ich war geschockt darüber und auch etwas enttäuscht. Der Fussball, aber auch Susana waren die wichtigsten Dinge in meinem Leben. Aber vielleicht würde ich mich entscheiden müssen…




Guimarães, Portugal - 16. Juli 2017


Ich erwachte, und meine Schläfen drückten heftig. Schon wieder pochte mein ganzer Kopf. Ich stöhnte leicht auf, drehte mich, öffnete die Augen und erschrak. Was zum….?! Dann erinnerte mich. Ich befand mich in der Wohnung meines Kumpels Luís im Zentrum der Stadt, über einer kleinen Bar, die Luís zusammen mit einem Typen, der er in der Cannabis-Szene kennen gelernt hatte, betrieb. Auf dem Tisch standen eine Flasche Whiskey, ein voller Aschenbecher mit Zigaretten und Joints voll gestopft und etlicher Abfall. Allgemein war die Wohnung ein einziges Chaos. Auf dem zweiten Sofa lag Luís und schlief noch tief und fest. Als ich auf die Uhr schaute, bemerkte ich, dass es bereits 12 Uhr mittags war.


Ich ging in die kleine Küche, machte mir einen Kaffee und liess die beiden letzten Tage Revue passieren. Nachdem ich mit meiner Mutter und meinen Schwester am Freitag zu Abend gegessen hatte, hatte ich meine Kumpels, Tiago und eben Luís, angerufen und mich mit ihnen verabredet, um über die Geschichte mit Susana zu sprechen. Wie so oft in der Jugend wollten wir nur kurz ein zwei Bier trinken gehen, endeten aber nach etlichen Bars und Clubs morgens um sechs auf dem Sofa in Luís’ Wohnung. Nachdem wir am Samstag erwacht waren, machten wir den Fernseher und die Playstation an und schon bald hatten wir wieder einige Bier und Luís auch die ersten Joints intus. Ehrlich gesagt konnte ich mich nicht erinnern, ob auch ich gekifft hatte, aber meinem Kopfweh nach lag das durchaus im Bereich des Möglichen. Ich konnte mich nicht mehr an wirklich viel vom gestrigen Abend erinnern, aber wir hatten auch irgendwann die Wohnung verlassen, waren wieder um die Häuser gezogen und nun waren wir also erneut in der alten Wohnung meines Kumpels. Tiago hatte offensichtlich den Absprung geschafft und zuhause übernachtet. So hoffte ich es zumindest.


Als ich meinen Kaffee ausgetrunken hatte, wurde mir klar, dass ich so nicht weiter machen konnte. Ich hatte meinen neuen Job, und diese Chance musste ich packen. Egal, ob Susana momentan nicht mit mir sprechen wollte, ich durfte mich nicht herunter machen lassen. Hier in Guimarães würde ich versauern, ausserdem hatte ich in zwei Tagen wieder Trainingsstart in Porto. Ich nahm einen kleinen Zettel, der in der Küche rumlag, einen Stift und kritzelte darauf „Sorry, Bruder - ich musste los, noch einiges zu tun in Porto! Danke für die Ablenkung, bis bald. Komm mal zu einem Spiel in Porto, ich besorge dir und Tiago Karten! Diogo“. Ich legte den Zettel in die Küche, packte meine Klamotten zusammen und verliess leise die Wohnung, während immer noch das Schnarchen von Luís durch die Wohnung hallte. Ich schrieb meinen Schwestern und meiner Mutter eine WhatsApp-Message, dass ich kurzfristig zurück nach Porto musste, ging dann zum Bahnhof und stieg in den nächsten Zug nach Porto…


Porto, Portugal - 22. Juli 2017


FC Porto - Celtic Glasgow 2:0 (Saisoneröffnung - Freundschaftsspiel)


Casillas ; Ricardo Pereira, Marcano (C), Felipe, Alex Telles ; Danilo Pereira, Herrera (46’ André André), Óliver Torres ; Corona, Aboubakar (46’ Marega), Brahimi (46’ Otávio)


1:0, 03’, Brahimi
2:0, 62’, Felipe


Schon seit einigen Jahren führt der FC Porto die Saisoneröffnung für die Fans in Form eines Testspiels durch. So auch dieses Jahr, zu Gast war diesmal Celtic Glasgow, der beliebte Traditionsvereins aus Schottland. Wir entschieden uns, in dieser Partie mit den elf Spielern in die Partie zu gehen, mit denen wir auch für die neue Saison als Stammspieler planten. So stand natürlich der Routinier Casillas im Tor, davor in der Viererkette Alex Telles, Kapitän Marcano, Felipe und der letzte Saison noch an Nizza verliehene Ricardo Pereira. Im Mittelfeld war Vize-Kapitän Danilo Pereira auf der Sechs gesetzt. Davor planten wir momentan mit Óliver Torres und dem in der Vorbereitung starken Héctor Herrera. Auf den Aussenbahnen hatten Jesús Corona und Yacine Brahimi noch leicht die Nase vor Hernâni und Otávio. Im Sturmzentrum momentan in der Pole-Position war Istanbul-Rückkehrer Vincent Aboubakar, aber auch der zuletzt formschwache Brasilianer Soares oder Moussa Marega konnten diese Position bekleiden.


Bereits in der dritten Minute heizte der Algerier Yacine Brahimi den zahlreich erschienenen Porto-Fans ordentlich ein. Nach einem tollen Solo kurz nach Anpfiff zog er vom linken Flügel zur Mitte und schlenzte den Ball gekonnt am gegnerischen Keeper vorbei ins Netz. Bis zur Pause hielt Celtic Glasgow tapfer im Spiel, auch wenn sie nur einen einzigen Torschuss zu verzeichnen hatten. Unsere Jungs rannten mal für mal ans gegnerische Tor an und scheiterten meist an der gegnerischen Abwehr oder dem starken Torhüter Gordon. Zur zweiten Halbzeit bekamen die Porto-Anhänger dann Otávio, Marega und André André anstelle von Brahimi, Aboubakar und Herrera zu sehen. In der zweiten Halbzeit legten wir dann schliesslich noch einen Gang zu, scheiterten aber noch zweimal an der Torumrandung, ehe dann Felipe nach einem Corner endlich per wuchtigem Kopfball auf 2:0 erhöhen konnte. In der Folge passierte dann nicht mehr viel. Wir kamen nochmals zu einigen Torchancen, welche aber nicht mehr verwertet werden konnten. Auch wenn das Resultat etwas zu knapp ausfiel, war das heute eine sehr solide Leistung und wir konnten mit breiter Brust in die schon bald beginnende Saison gehen.