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Prolog
25. August 2016, Posen
"Endlich, Łuk! Ich dachte schon, ich müsste ewig auf dich warten." lachte Karol und klopfte mir lachend auf die Schulter. Ich musste unweigerlich grinsen und gab keine Antwort. Zusammen mit meinem besten Kumpel auf den Trainingsplatz zu schreiten, war etwas, was ich schon seit langer Zeit nicht mehr hatte tun können. Morgen würde es soweit sein.. Mein erstes Training als Profi in der Mannschaft von Lech Posen...
Mein Name ist Łukasz Boniek, aber alle nennen mich Łuk, so auch mein bester Freund Karol. Karol, das ist Karol Linetty, seines Zeichens polnischer Nationalspieler und Profi bei Lech Posen, meinem Lieblingsverein. Ich bin am 25. Oktober 1996 in Znin geboren worden, zusammen mit zwei Schwestern in einem grossen Plattenbau in einem Wohnviertel. Mein Vater ist Automechaniker, meine Mutter Putzfrau. Wir hatten nie viel Geld, doch es hat uns immer für alles gereicht, was wir brauchten. Polnischer Standard eben, wie man so schön zu sagen pflegt..
Karol wohnte zwei Häuserblocks neben mir, und ich lernte ihn auf dem kleinen Bolzplatz zwischen den grossen Wohnkomplexen kennen. Damals war ich vier Jahre alt, und er fünf. Karol ist circa eineinhalb Jahre älter als ich, nur schon deswegen war er für mich schon immer wie ein grosser Bruder, und das ist bis heute so. Ich hätte gerne einen grossen Bruder gehabt, und so kam es, dass in einer speziellen Beziehung sozusagen Karol diese Rolle für mich erfüllte.
Im Sommer 2006 schliesslich, Karol war elf und ich knapp zehn Jahre alt, wurden die Scouts von Lech Poznan auf uns aufmerksam. Karol und ich spielten damals zusammen in der D-Jugend von Sokół Damasławek, einem kleinen Verein in der Nähe unseres Zuhauses. Zusammen spielten wir im defensiven Mittelfeld nebeneinander und wir verstanden jeden Schritt des anderen. Karol war der kreative Kopf, ich der Abräumer. So war es schon immer gewesen. Und so kam es, dass wir schon bald ein Zimmer in der Jugendakademie in Posen bewohnten. Wir durchliefen die Jugendteams, spielten stets Seite an Seite, ich immer eine Stufe höher als meinem Alter entsprechend. Aber es war nicht möglich, Karol und mich zu trennen. Nur zusammen konnten wir unsere Topleistung abrufen. Das glaubte ich zu jenem Zeitpunkt jedenfalls...
Im Sommer 2012 kam es aber anders. Karol erhielt einen Profivertrag, nachdem er einige herausragende Leistungen gezeigt hatte in den Spielen mit der A-Jugend. Unter Tränen erklärte mir Karol, dass er dieses Angebot nicht ablehnen könne und natürlich verstand ich ihn. Dennoch war ich zutiefst getroffen und erstmal auf mich gestellt. Zwar bewohnten wir weiterhin unser Doppelzimmer in der Akademie, aber ich spielte in der B- oder A-Jugend, Karol meist in der 2. Mannschaft und trainierte mit den Profis. Während Karol seinen Weg machte und nach einiger Zeit auch in der 1. Mannschaft Fuss fassen konnte, konnte ich meine Leistungen nicht immer bringen und meine Karriere schien ein frühes Ende zu finden.
Dennoch schaffte ich 2014 den Sprung zur 2. Mannschaft, wo ich im Alter von mittlerweile knapp 18 Jahren wieder Fuss fassen konnte und mir nach einigen Monaten einen Stammplatz erobern konnte. Nach einem Jahr im Team wurde ich zum Kapitän ernannt und fühlte zum ersten Mal seit einiger Zeit wieder richtig Spass am spielen, und so blühte ich wieder richtig auf.
Während die erste Mannschaft von Lech Poznan in der Saison 2015/16 zum zweiten Mal in Serie den Meistertitel erobern konnte und Karol entscheidenden Anteil daran hatte, schaffte ich mit meinem Team das gleiche einige Ligen weiter unten. Und so kam es schliesslich, dass Jan Urban mir am morgen des 25. August 2016, einen Tag nachdem Lech die Qualifikation für die Champions League geschafft hatte, meinen ersten Profivertrag vorlegte, welchen ich sofort unterzeichnete. Endlich, 10 Jahre nach meiner Ankunft in Posen, hatte ich den Sprung in den Profikader geschafft!
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