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Es war ein schöner Mittwochnachmittag in München, die Sonne schien durch das Bürofenster und erfüllte weite Teile des Raums mit Licht. Ich saß da, hinter dem kleinen Schreibtisch, und wartete darauf, dass Niels das Büro betrat. Knapp eine halbe Stunde zu spät war er dran – normalerweise machte er Mittagspause bis 13:00, mittlerweile zeigte die Uhr über der Tür 13:26. Doch dann – endlich – öffnete sich die Tür.
„Hi.“ sagte ich freundlich und hob die Hand zum Gruß.
Niels sah mich nur verwirrt an und lieb in der Tür stehen. Er drehte sich langsam zur Tür um, dann wieder zu mir. „Komisch...“ sagte er schließlich. „Jemand muss die Tür ausgetauscht haben, da steht eindeutig 'Niels Madsen' dran und nicht 'Sigurður Mikaelsson', wie kann das sein?“ fragte er mich und sah mich mit hochgezogenen Augenbrauen an.
„Kein Irrtum. Ich fand es hier nur gerade sehr schön.“ sagte ich.
„Na gut. Wenn ich dich frage, was du in meinem Büro tust – ist dann eine vernünftige Antwort zu erwarten?“ fragte er.
„Versuchs doch!“ patzte ich ihm entgegen und stand auf, um ihm seinen Stuhl anzubieten.
„Ich denke nicht.“ erwiderte Niels. „Und wenn ich dich frage, was du mit Andreas letztes Spiel abgesprochen hast, habe ich dann Chancen auf eine Antwort?“ fügte er an und sah mich mit prüfendem Blick an.
„Ich könnte es dir sagen.“ sagte ich und legte eine bedeutungsvolle Pause ein. „Aber dann müsstest du mich beim DFB melden. Und du würdest bei der Sitzung vor dem Disziplinarausschuss neben uns sitzen.“ ergänzte ich.
Niels schwieg und schien zu überlegen. „Nun, ich schätze, dann lasse ich hier einfach mal die Unschuldsvermutung gelten. Aber trotzdem – gute Arbeit, aber lass da lieber kein Muster erkennen.“ gab er zu bedenken.
Ich nickte nur schweigend und stieß den Schreibtischstuhl an, so dass er in Richtung von Niels rollte. Der sah mich nur fragend an und ich bedeutete ihm gestenreich, sich zu setzen. Der tat wie geheißen und sah mich erwartungsvoll an.
„Also?“ fragte er schließlich.
„Was denn?“ gab ich mit Unschuldsmine zurück.
„Du weißt, was.“ gab Niels angenervt zurück. „Was willst du?“
„Ach ja, natürlich doch.“ lenkte ich ein und spielte den Eindruck, als hätte ich es vergessen gehabt. „Ich hab da 'n Video für dich.“ sagte ich und griff in die Innentasche meines Anzugs.
„Wenn das wieder von dir und Amanda ist, dann –“
„Ist es nicht.“ beschwichtigte ich Niels, der schon halb wieder aufgestanden war. „Und das würde ich nie als DVD brennen. Das war ein Mail-Anhang und es war ein Versehen.“
„Natürlich, ein Versehen.“ erwiderte Niels genervt. „Solche Mails verschickt man an niemanden!“ fügte er hinzu. Ich zuckte nur beiläufig mit den Schultern und legte die DVD in den PC ein.
„Mir ist schon mal peinlicheres passiert. Ich hab' mal ein Bild von meinem Gemächt an mein ganzes Adressbuch geschickt.“ sagte ich.
„Ok, das ist peinlich.“ stimmte Niels zu.
„Das ist nicht nur peinlich gewesen, das hat mich auch ein Vermögen an Briefmarken gekostet.“ korrigierte ich ihn und konnte nicht umhin, den verstörten Ausdruck in Niels' Gesicht zu genießen.
Der ging nicht weiter darauf ein, denn eine andere Frage schien ihm auf der Zunge zu liegen. „Was in Gottes Namen hattet ihr eigentlich mit der Schlagsahne vor?!“ fragte Niels verwirrt und ich konnte mir ein Schmunzeln nicht verkneifen.
„Du hättest weiter gucken sollen.“ antwortete ich nur und sah ihn vielsagend an. „Hättest noch was lernen können.“
„Ich will gar nicht –“
„Klappe.“ fuhr ich dazwischen und deutete auf den Monitor. „Sieh es dir an und sag mir, was du siehst.“ sagte ich und drückte auf 'Play'.
Niels folgte meinem Blick und nahm das Videomaterial unter die Lupe. „Was schaue ich mir da an?“ fragte er unsicher. „U23?“ ergänzte er unsicher.
„U19.“ antwortete ich. „A-Junioren Bundesliga, Staffel Süd/Südwest.“
„Gegen Freiburg, wie es scheint.“ ergänzte Niels und verfolgte mit zusammengekniffenen Augen das Geschehen im Zusammenschnitt.
„Merk' dir die Rückennummern. Ich hab die Szenen zusammenschneiden lassen, nach spätestens der fünften Szene will ich wissen, wen ich meine.“ sagte ich und versuchte zu erahnen, ob Niels den richtigen Akteur ins Auge gefasst hatte, während ich ihm eine nach Nummern sortierte Spielerliste vorlegte. Der schien das nicht zu bemerken und verfolgte weiter aufmerksam das Spiel: Erste Szene war ein schöner Distanzschuss von Moritz Heinrich nach Doppelpass mit Alexander Avdijaj, zweite Szene das 1:0 durch Christoph Daferner. Gerade als die dritte Szene anlief, in der Luca Plattenhardt aus bester Position das 2:0 vergeben würde, rief Niels dazwischen.
„Stopp!“ sagte er und überflog die Liste. „Nummer 5... Alexander Avdijaj.“ sagte er und zeigte mit dem Finger auf betreffenden Akteur. Ich lächelte zufrieden und ließ die Szene weiterlaufen. Moritz Heinrich legte den Ball nach innen, wo Avdijaj ihn gegen zwei Mann abschirmte und dann zur Seite auf Plattenhardt ablegte. Der nahm den Ball mit, zog mit einem Haken nach außen und schoss aus kürzester Distanz an den Außenpfosten.
„Er hat die erste Szene vorbereitet. Den Raum mit seinem Stellungsspiel geöffnet, genau im richtigen Moment das Anspiel gesucht und den Ball gut weitergeleitet. Und beim 1:0 hat er den entscheidenden Schnittstellenpass vor der Flanke gespielt.“ erklärte er seine Wahl und ich nickte.
„Du solltest ihn live sehen. Der Junge ist grandios.“ pflichtete ich ihm bei.
„Und warum gucken wir uns das an?“ fragte Niels nach.
„Er ist grandios!“ wiederholte ich mich. „Und das sehe nicht nur ich so.“ fügte ich grummelnd hinzu.
„Wer noch?“ fragte Niels und blätterte in seinen Unterlagen.
„Die Frage sollte lauten – wer nicht?“ gab ich verärgert zu.
„Sigurður.“
„Der VfB Stuttgart und Bayern München, das hat uns der Spielerberater heute gesagt. Angeblich auch Borussia Dortmund und Werder Bremen.“ sagte ich mürrisch.
„Alles Erstligisten...“ murmelte Niels.
„Ach Tatsache? Ich wusste doch da gab es eine Gemeinsamkeit – wie lange hältst du das schon geheim?!“ fragte ich gereizt, doch Niels schien mir gar nicht zuzuhören.
„...und Stuttgart, Dortmund und Bremen spielen mit der U23 in der dritten Liga und nicht bloß Regionalliga. Bayern nächste Saison auch, wenn sie jetzt nicht komplett einbrechen und die Play-Offs nicht verlieren.“
„Ich weiß!“ sagte ich verärgert. „Das macht es nicht gerade besser, von möglichen Interessenten aus dem Ausland ganz zu schweigen.“
„Nun, gegen das Ausland können wir nichts tun, aber im Inland ist das ein Vorteil.“ sagte Niels und erntete einen verwirrten Blick. „Na gut, es ist ein Nachteil, aber den können wir zu einem Vorteil machen.“ korrigierte er sich und ich nickte.
„Geringeres Liganiveau heißt größere Chance auf Einsätze.“ führte ich seinen Gedanken aus.
„Die Beispiele sind da, gerade in jüngster Vergangenheit.“ pflichtete Niels mir bei. „Ott, Neudecker, Taffertshofer, Weigl –“
„– Wittek, Wolf, Wood, Maier, Vollmann, Wannenwetsch.“ führte ich die Liste fort. „Und wenn man etwas weiter zurückblickt Volland, Leitner, Mlapa, Strobl, Schindler, Gebhart, Jungwirth, Baumgartlinger und was-weiß-ich-wer noch.“
Niels nickte zustimmend.
„Und wenn ihn das nicht überzeugt, kommen wir ihm mit den Gegenbeispielen. Walther, Strohmaier, Burger. Spielen alle noch immer nur Regionalliga und nicht besonders viel. Einzig Pledl hat es halbwegs geschafft.“ ergänzte ich.
„Sehr gut.“ stimmte Niels zu.
„Gut, dann mach dir 'n Gesprächskonzept.“
„Bitte was?“
„Um 14:30 ist der Spieler mit seinem Berater in Konferenzraum C.“
„Es gibt keinen Konferenzraum C.“
„Nicht? Steht aber in der E-Mail.“
„Welche E-Mail?“
„Die, in der ich den Spielerberater um den Termin gebeten habe.“
„Warte, du hast um den Termin gebeten?!“ fragte Niels und wurde lauter. „Wann wolltest du mir das sagen?!“
„Hab ich doch gerade gemacht.“ gab ich beiläufig zurück. „Und ich musste um den Termin bitten, um ihm zu zeigen, dass es uns ernst ist. Wir sitzen nun einmal am kürzeren Hebel und je eher die wissen, dass wir das auch wissen, desto besser.“
„Ernsthaft? Das ist dein Plan? Kein waghalsiger Bluff?“ fragte Niels und zog eine Augenbraue hoch. „Die Liebe macht dich weich.“ sagte er und konnte sich ein Kichern nicht verkneifen.
„Kommen wir mal zurück zu den wichtigen Themen? Du sagtest, es gibt keinen Konferenzraum C!“ rief ich und blätterte hektisch durch den Gebäudeplan.
„Oh, die finden schon was. Dein schmelzendes Herz hat Priorität.“ antwortete Niels.
„Das ist zu offensichtlich, hier kann man nicht bluffen. Und was das andere angeht –“ ich hob beiläufig den Stock mit der linken Hand, während ich mit der rechten immer noch den Plan durchforstete und schlug ihm mit voller Wucht gegen den Oberschenkel „– bin ich dir immer noch zu weich?“ fragte ich nebenbei.
Niels sah mich mit offenem Mund an und schien nicht ganz zu wissen, wie er reagieren sollte.
„Also gut, es gibt einen Konferenzraum C. Drüben im linken Flügel, den Flur runter und dann rechts. Wir treffen uns um 14:15 da.“ sagte ich und machte mich auf den Weg zur Tür. „Nächste Woche ist Länderspielpause, dann ist er wieder mit der U19 unterwegs. Die spielen gegen Mazedonien und Polen, da kann er mit etwas Glück richtig was zeigen. Und jedes internationale Spiel, in dem er Scorerpunkte sammelt, schwächt unsere Ausgangslage.“ sagte ich noch im gehen und sah Niels langsam nicken.
Keine Dreiviertelstunde später trafen wir beide uns vor dem entsprechenden Konferenzraum wieder – der Spieler und Spielerberater waren noch nicht da, so dass uns noch kurz die Möglichkeit blieb, unsere Strategie ein letztes Mal durchzusprechen. Doch die Verhandlungen liefen dann gänzlich anders als erwartet: Der Spielerberater – ein Angestellter der Firma SportsTotal, die neben einigen vielversprechenden Talenten wie Arianit Ferati, Jonas Meffert, Luca Waldschmidt oder Nicolai Rapp auch Weltklasseakteure wie Marco Reus, Toni Kroos und Mario Götze vertrat – hatte uns direkt zu verstehen gegeben, dass sein Klient sich mit einem Wechsel in die erste Liga zu diesem Zeitpunkt der Karriere nicht ernsthaft beschäftigte und so war die Sache nach kurzen Verhandlungen vom Tisch: Avdijaj unterzeichnete einen ab der kommenden Saison geltenden Dreijahresvertrag, der ihm zunächst 25.000€ Jährlich bescherte – zudem würde er bereits in dieser Saison vereinzelt an Trainingseinheiten mit der ersten Mannschaft teilnehmen.
Quellen: Avdijaj 1860, Avdijaj DFB
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