#121 - Gespräch zwischen Vincenzo Montella und Nenad Tomovic



Ein kalter Tag im November in Florenz. Das Trainingsgelände der Fiorentina verschwindet fast hinter dem feinen Nebel an diesem Morgen, nur die violetten Fahnen vor der Geschäftsstelle sind wirklich gut erkennbar. Nenad Tomovic steigt gerade aus seinem Ferrari Testarossa, der Youngtimer hebt sich auf dem mit Luxuswagen gespickten Spielerparkplatz durch sein Alter und seine kantigen Formen immer etwas ab. Langsam schlendert der serbische Kapitän der Viola Richtung der Bürogebäude und denkt dabei über das Gespräch mit seinem langjährigen Trainer Vincenzo Montella nach, dass er gleich führen wird. "Ist es der richtige Zeitpunkt?", fragt sich der Innenverteidiger, "Oder werde ich damit auf Unverständnis stoßen?"




Erfolge konnte Tomovic einige feiern (hier den Gewinn der CL in der Saison 2020/2021)



Als er durch die Drehtür in den Eingangbereich tritt, blickt er dabei auf die großformatigen Fotos, die das Foyer auf beiden Seiten säumen. Viele davon befassen sich mit den Titelgewinnen des Vereins im letzten Jahrzehnt und auf nicht wenigen ist er als Kapitän mittendrin. Zum Beispiel beim ersten Gewinn der Königsklasse überhaup in der Saison 2018/2019. Da wird ihm allerdings auch wieder schmerzlich bewusst, dass seine Teamkameraden diesen Erfolg ohne seine Mithilfe einfahren konnten. Tomovic ist in der jubelnden Mannschaft zwar zu sehen, seine Krücken, die er nach seinem Schien- und Wadenbeinbruch benötigte, werden allerdings verdeckt. Weiter gehts in den Aufzug und mit diesem in die zweite Etage, ganz am Ende des Ganges befindet sich das Büro des Cheftrainers. Als er an die Tür klopft, hat sich sein Entschluss im Kopf gefestigt...



Vincenzo Montella: "Avanti!"

Tomovic betritt das Büro.

Nenad Tomovic: "Hallo, Vincenzo!"

VM:
"Ah, Nenad. Setz dich doch erstmal."

NT: "Vielen Dank. Und auch danke dafür, dass du dir die Zeit für mich genommen hast."

VM: "Ach, Nenad, das ist doch wohl selbstverständlich. Was liegt dir denn auf dem Herzen?"

NT: "Also, ich habe viel nachgedacht in der letzten Zeit. Über das Team und meine Rolle darin und auch über meine Gesundheit. Ich bin eigentlich gekommen, um dir zu sagen, dass ich meine Karriere beenden werde."

VM: "Sowas in der Art habe ich mir schon gedacht, ich habe nur darauf gewartet, wann du zu mir kommst."

NT: "War das so offensichtlich, dass ich nachgedacht habe?"

VM: "Wir kennen uns schon so lange jetzt und verstehen uns schon beinahe blind, deshalb ist mir das schon aufgefallen. Was hast du denn geplant, also wann soll es genau sein?"

NT: "Also, ich habe überlegt und überlegt. Mein Steißbein schmerzt inzwischen wieder stärker, der Bruch ist zwar verheilt, aber ich merke es immer wieder. Wenn du mit mir planst, halte ich noch bis Saisonende durch."





Natürlich konnte der Serbe nicht jedes Gegentor verhindern



VM: "Das wäre wichtig für mich, da alle deine Mitspieler dich als Anführer akzeptieren. Ein Abgang mitten in der Saison wäre da ein falsches Zeichen. Kann ich auf dich zählen?"

NT: "Natürlich, Trainer. Ich werde in meinem letzen halben Jahr alles geben."

VM: "Das freut mich natürlich. Eine Frage hätte ich aber noch...wen würdest du als deinen Nachfolger einsetzen?"

NT: "Ich habe mir schon einige Gedanken gemacht und mir sind dabei Nemanja (Matic), Fabian (Schär) und Antonio (Lucchini) eingefallen. Nemanja und Fabian sind natürlich noch erfahrener als Antonio, seine Zeit wird noch kommen."

VM: "Also, ich tendiere zu Fabian. Er ist ein absoluter Leader und beruhigt das Team durch seine abgeklärte Spielweise. Was sagst du?"

NT: "Finde ich in Ordnung. Aber im Endeffekt musst du das zusammen mit Riccardo (Montolico) entscheiden. Ich kann euch nur beraten."

VM: "Das bekommen wir schon hin."

Montella steht auf und geht um den Tisch herum, dann schließt er seinen Kapitän in die Arme.

VM: "Nenad, wir haben zusammen viel erreicht. Es ist sehr schade, dass du gehst, aber irgendwann ist es halt an der Zeit. Ich wünsche dir viel Spaß in deinen letzten Spielen."

NT: "Danke, Vincenzo. Ich denke, dass einige gute Jungs meine Rolle ausfüllen werden. Rizzon und Ceccarelli sind sehr weit für ihr Alter, du solltest ihnen eine Chance geben."

VM: "Werde ich, mein alter Freund, werde ich. Wir sehen uns später auf dem Trainingsplatz. Bis später."

NT: "Genau. Man sieht sich."

Tomovic verlässt das Büro und schließt die Tür.




Wenn Tomovic eines seiner seltenen Tore erzielte, dann war es zu 99% ein Kopfballtor



"Das habe ich zum Glück hinter mir.", denkt der Serbe, "Es gibt sicher schönere Angelegenheiten. Aber irgendwann ist es halt vorbei." Diesmal nimmt er die Treppen ins Erdgeschoss, für sein beachtliches Alter (zumindest für einen Fussballer) gelingt ihm das noch recht spielerisch. Allerdings nimmt er dieses Mal nicht den Weg zum Hauptausgang, sondern wendet sich nach rechts Richtung Trainingsplatz. Zu ihm gesellen sich dabei Luca Negro und Makar Tsolakoglou, die beiden Eigengewächse sind gerade auf dem Gelände zum Vormittagstraining eingetroffen. "Hi Nenad, wie stehts bei dir?", fragt der junge griechische Torwart seinen Kapitän. Tomovic kann sich ein Lächeln nicht verkneifen: "Bei mir steht nichts mehr, aus dem Alter bin ich raus.", kontert er schnell. "Diese Jungs halten mich jung. Bis zum Sommer halte ich auf jeden Fall durch." Die Drei gehen lachend aus dem Verwaltungsgebäude heraus, inzwischen hat sich auch der Nebel gelichtet.