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Bald wieder gelobtes Fußball-Land?
Gewaltexzesse, Korruption, marode Stadien - die einst als stärkste Liga der Welt gehandelte Serie A verlor durch diverse Skandale in den letzten Jahren mehr und mehr an Bedeutung. Premier League und Primera Division stellten den einstigen Marktführer in den Schatten. Doch sportal.de entdeckt einen kleinen Silberstreif am Horizont.
"Kennst du das Land, wo die Zitronen blühn, im dunkeln Laub die Goldorangen glühn, ein sanfter Wind vom blauen Himmel weht, die Myrte still und hoch der Lorbeer steht? Kennst du es wohl? Dahin! Dahin möcht' ich mit dir, o mein Geliebter, ziehn." So blumig beschrieb schon Johann Wolfgang von Goethe Ende des 18. Jahrhunderts Italien.
Auch auf die besten Fußballer der Welt übte die Halbinsel bis weit in die 1990er-Jahre eine große Anziehungskraft aus. Michel Platini, Diego Maradona, Zico, Careca, Ruud Gullit, Marco van Basten, Lothar Matthäus, Rudi Völler, Rivaldo, Zinedine Zidane, Ronaldo u.v.a erlagen dem Lockruf von jenseits der Alpen und wechselten ins gelobte Fußballland, wo zwar nicht Milch und Honig, dafür aber die Lire in Strömen flossen. Durch große sportliche Leistungen festigten sie den Ruf der Serie A als beste Liga der Welt.
Stars wechseln lieber nach England
Das schlug sich auch in der UEFA-Fünfjahreswertung nieder, in der Italien von 1991-1999 ununterbrochen die Spitzenposition inne hatte. Doch ab dem Jahr 2000 war die Dominanz vorbei, Spanien eroberte die europäische Vorherrschaft im Vereinsfußball und behielt sie bis 2007, ehe die Premiera Division 2008 von der Premier League abgelöst wurde. Italien fand sich plötzlich nur noch auf Platz drei wieder und verlor in den letzten Jahren mehr und mehr an Boden auf die Spitze.
Franz Beckenbauer, der 1990 noch acht deutsche Italienlegionäre in seinem Weltmeisterteam hatte, soll Michael Ballack 2006 deshalb auch von einem Wechsel auf den Stiefel abgeraten haben. Dem Kaiser wird das Zitat zugeschrieben, dass sich der deutsche Kapitän dort vorkäme "wie bei uns in der Regionalliga".
Der Bedeutungsverlust der Serie A hat seine Gründe vor allem in der Finanzkraft der Konkurrenz. Ausländische Investoren pumpen seit Jahren enorme Summen in englische Clubs. Auch in Spanien wird deutlich mehr Geld investiert. Viele Clubs in Italien mit Ausnahme von Milan und Inter, die über potente Mäzene verfügen, sind dagegen verschuldet.
Aus der mangelnden Finanzkraft der Liga resultierte, dass die besten Spieler der Welt lieber zu Chelsea oder Real wechselten, als sich einem italienischen Club anzuschließen. Ausnahmen gab es nur wenige, wie Kaka beim AC Milan, der sich gegen England entschied und das in der WELT mit der "Freude und Liebe, die ich für diese Mannschaft und diesen Verein fühle, für Mailand, für Italien überhaupt" begründete. Und wenn Stars seines Kalibers nach Italien wechselten, dann zu einem der großen drei Clubs Inter, Juve oder Milan - letztgenannter konnte als einziger Club auf europäischer Bühne wenigstens zeitweise noch mitmischen.
Skandale und marode Stadien Gründe für Zuschauerschwund
In der Liga klafft seit Jahren eine große Lücke zwischen den Spitzenclubs und dem Rest. Sportlich sind nur vier, im Höchstfall fünf Clubs in der Lage, den Scudetto zu erringen. Die Liga insgesamt verlor folglich deutlich an Attraktivität und mehr und mehr Zuschauer. Auch als Folge der Korruptionsskandale der letzten Jahre. 2005 wurde dem FC Genua 1893 nachgewiesen, durch Spielmanipulationen den Abstieg verhindert zu haben. Der Club musste absteigen.
Nur ein Jahr später wurde der bis dato größte Skandal der Serie A aufgedeckt. Rekordmeister Juventus Turin, Milan und Florenz waren in großem Umfang in Spielmanipulationen verstrickt und wurden mit Punktabzügen bestraft. Juve, dessen Manager Luciano Moggi als Drahtzieher angesehen wurde, musste gar den Zwangsabstieg hinnehmen. Das Fehlen des Traditionsvereins wirkte sich natürlich auch wieder negativ auf die Zuschauerzahlen aus.
Hatten die Spiele der Serie A 1991/92 noch durchschnittlich 34.205 Zuschauer in die Stadien gelockt, waren es noch 2001/02 noch 29.124 gewesen. Bis Ende der Saison 2007/08 sank der Schnitt weiter dramatisch auf unter 19.000. Gründe gibt es neben der fehlenden sportlichen Klasse aber noch weitere. Zum Beispiel die sehr maroden Stadien, die zum Teil seit der WM 1990 nicht mehr renoviert wurden und den modernen Anforderungen der UEFA auch in Fragen der Sicherheit kaum noch entsprechen. Möglicherweise auch ein Grund, warum Italien nicht den Zuschlag für die EM 2012 bekam.
Pay-TV als große Konkurrenz
Doch Umbaumaßnahmen durchzuführen gestaltet sich mehr als schwierig, da viele Arenen in dicht besiedelten Stadteilen liegen und für Erweiterungen aber auch Parkflächen kaum Platz ist. Die Zuschauer sind dadurch gezwungen weite, umständliche Anreisen in Kauf zu nehmen. Zudem verfügen viele Stadien noch über Laufbahnen, was die Sicht der Fans aufs Spielfeld erheblich beeinträchtigt. Als umständlich erweist sich auch der Kauf von Eintrittskarten. Tickets dürfen nur bis zwei Stunden vor Spielbeginn und unter Vorlage des Personalausweises in speziell ausgewiesenen Shops erstanden werden.
Um Einnahmeverluste auszugleichen, erhöhten viele Clubs drastisch die Preise, selbst durchschnittliche Partie können den Fan mehr als 120 Euro kosten. Kein Wunder, dass inzwischen die meisten Fans das viel komfortablere und kostengünstigere Pay-TV-Angebot nutzen. Ein Problem, das auch die italienische Spielergewerkschaft sieht. Deren Präsident, Sergio Campana erklärte besorgt: "Es wird zu häufig gespielt, und das Fernsehen sorgt dafür, dass immer weniger Leute in die Stadien kommen."
Gewalt erschüttert den Fußball
Das Interesse für Fußball ist also vorhanden. Doch Campana lenkte den Fokus auch auf das noch größere Problem der Serie A, die Gewalt. "Auch die Krawalle halten die Menschen von den Stadien fern", erklärte er. In der Tat nahmen die Gewaltexzesse in italienischen Stadien in den letzten Jahren erheblich zu. 2004/05 wurden bei insgesamt 2814 Partien in allen Spielklassen 268 Partien mit Ausschreitungen gezählt. Das Innenministerium führte daraufhin Videoüberwachung, personalisierte Tickets und elektronische Drehkreuze in den Stadien der höchsten Spielklasse ein. Zudem unterstütze private Security die Polizei, so schaffte man es, die Gewalt zumindest aus den Stadien zu bekommen.
Doch das verlagerte die Eskalationen nur ins Umfeld. 2007 überschwemmte eine Welle der Gewalt den italienischen Fußball. Im Februar starb ein Polizist bei Ausschreitungen zwischen Fans von Catania Calcio und dem US Palermo, im November kam ein Lazio-Fan durch einen Querschläger eines Polizisten bei Ausschreitungen zwischen Lazio- und Juve-Fans auf einem Autobahnrastplatz ums Leben. Mehrere Tage danach wurden weitere Gewalttaten rund um den italienischen Fußball vermeldet. Momentan scheint man die Gewalt zumindest vorübergehend im Griff zu haben. Kaka hatte noch vor wenigen Monaten geäußert: "Diese Ausschreitungen töten unseren Sport. Die Stars werden aus Italien weggehen."
Ein Silberstreif am Horizont
Doch zum Glück für den italienischen Fußball kam es dazu bisher nicht. Im Gegenteil. Mit Ronaldinho und José Mourinho wechselten nun zwei der schillerndsten Persönlichkeiten des Weltfußballs der letzten Jahre in die Serie A. Gut, Ronaldinho ist den Beweis seiner Klasse zuletzt oft schuldig geblieben, hat aber neue sportliche Großtaten angekündigt. Und ein Mourinho wechselt ja nicht in eine Liga, die seinen großen sportlichen Ambitionen nicht entspricht. "In Italien zu arbeiten war immer mein Traum gewesen", erklärte der neue Inter-Coach.
Beide könnten neben mehr sportlicher Qualität auch für ein zunehmendes Interesse der Fans sorgen. Dass die Tifosi nach großen Namen lechzen, macht alleine die Tatsache deutlich, dass für das Trikot von Ronaldinho schon kurz nach Bekanntgabe seines Wechsels zu Milan etwa 11.000 Bestellungen eingegangen sind.
Beim ersten Training wurde sein erstes Tor von den versammelten Fans frenetisch bejubelt. Teamkollege Marek Jankulovski zollte großen Respekt: "Er sorgt hier für mehr Freude und Qualität." Die Verantwortlichen in der Serie A hoffen, dass dies nicht nur für Milan, sondern die gesamte Liga gelten wird und das Beispiel des Brasilianers und Mourinhos Schule machen könnte.
Noch ein weiter Weg
Weitere Topstars wie Frank Lampard, der angeblich ebenfalls dem Lockruf Italiens folgen will, würden der Liga gut zu Gesicht stehen und sie in der Fußballwelt wieder mehr in den Fokus rücken lassen. Der sportliche Niedergang könnte so vielleicht gestoppt werden und die Serie A wenigstens so wieder schrittweise an Bedeutung gewinnen.
Allerdings wird es noch ein weiter Weg. Die Probleme mit gewalttätigen und teils rechtsradikalen Anhängern sind noch lange nicht im Griff. Auch wenn zuletzt positive Meldungen im Kampf gegen Korruption (wie der jüngst vereitelte Aufkauf von Lazio Rom durch die süditalienische Camorra) und Gewalt (die Anzahl der Gewaltdelikte in Stadien ging seit Anfang des Jahres merklich zurück) aus Italien kamen. Man scheint zumindest auf dem richtigen Weg zu sein.
Doch die offene Fragen der Stadionmodernisierung und die hohen Eintrittspreise stellen weitere nicht zu unterschätzende Hindernisse da, die aus dem Weg geräumt werden müssen, damit die Liga wieder zu alter Pracht erblühen kann.
Malte Asmus
Quelle : www.sportal.de
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