Von der Baustelle nach Europa


Die letzte Saison endete mit einer herben Enttäuschung für Bayer Leverkusen. Auf der Zielgeraden verspielte man die Teilnahme am UEFA Cup. Das soll sich in diesem Jahr nicht wiederholen. Mit neuem Trainer, neuen Spielern und einem Stadionumbau wagt man den Radikalumbau und hofft damit vor allem endlich einmal konstant auf hohem Niveau zu spielen. sportal.de ist vom Erfolg der Werkself überzeugt.
Es waren Bilder des Jammers vor wenigen Monaten. Vor dem 34. Spieltag hatte Bayer noch auf Platz vier gelegen, den UEFA Cup vor Augen. Doch am Ende des Tages war man Siebter und alle Träume vom europäischen Parkett waren ausgeträumt. Das Aus kam dann auch für Trainer Michael Skibbe. Ihm wurde letztlich die fehlende Konstanz seiner Mannschaft zum Verhängnis.
Mit schönem und schnellem Offensivfußball hatte Bayer in der Hinrunde zu gefallen gewusst - wurde sogar für den schönsten Fußball der Liga gefeiert. Zur Winterpause hatte man sich unter den Top Vier etabliert. Doch gegen Ende der Saison ging dann die Puste aus. Von den letzten zehn Spielen gewann man nur zwei, Niederlagen gegen Duisburg, Hertha und Werder besiegelten dann auf der Zielgrade das schlechteste Abschneiden des Clubs seit fünf Jahren und damit die Demission von Skibbe.

Mit Bruno Labbadia holte Bayer einen als Erstligatrainer noch unbeschriebenes Blatt. Der Coach machte jedoch mit guter und erfolgreicher Aufbauarbeit in Fürth auf sich aufmerksam. Das fiel auch Rudi Völler auf, der seine Wahl begründete: "Bruno hat in Fürth mit bescheidenen Mitteln tollen Fußball spielen lassen. Er hat in hervorragender Art und Weise seinen Stil durchgesetzt."

Jetzt soll er die Baustelle Leverkusen leiten und hat als Marschroute „hart arbeiten" ausgegeben. Die neuen Autogrammkarten der Bayer-Elf lassen dies zumindest vermuten. In Bauarbeiterkluft und mit dreckverschmierten Gesichtern posierten René Adler und Co. für die Fotografen. Und auch das Vorbereitungsprogramm von Labbadia riecht nach harter Arbeit. In gleich zwei Trainingslagern wurde das Team so intensiv wie selten zuvor auf die neue Saison vorbereitet. "Niemand wird uns am Ende vorwerfen können, dass die Mannschaft nicht fit ist", erklärte Labbadia in der Sport Bild.
Umgebaut wird die Manschaft auch. Die Altstars Sergej Barbarez und Carsten Ramelow beendeten ihre Karrieren, Bernd Schneider wird wegen seiner Verletzung noch länger ausfallen, so ruhen Hoffnungen und Verantwortung nun auf jüngeren Kräften wie René Adler und Kapitän Simon Rolfes. "Ich bin hier Führungsspieler, möchte hier Verantwortung übernehmen und mich als Persönlichkeit weiterentwickeln", erklärt stellvertretend Adler. Auch die Neuzugänge sind noch recht jung - Bundesligaerfahrung bei Patrick Helmes, Renato Augusto, Henrique und Constant Djakpa noch Fehlanzeige. "Unser junges Team kann auch ein Vorteil sein", peilt der Coach trotzdem optimistisch die internationale Teilnahme an.
Stärken/Schwächen:
Denn Labbadia kann auf ein eingespieltes Gerüst zurückgreifen, das ihm, verstärkt durch die Neuzugänge, viele Variationsmöglichkeiten bietet. Adler, Rolfes, Gonzalo Castro, Tranquillo Barnetta und Stefan Kießling haben schon in der letzten Saison ihre Klasse unter Beweis gestellt. Das Abwehrzentrum, in der letzten Saison oftmals ein Knackpunkt, hofft man durch Leihgabe Henrique vom FC Barcelona zu festigen. Renato Augusto gilt trotz seiner erst 20 Jahre als absolute Perle im Mittelfeld. Rund sechs Millionen Euro ließ sich Bayer den Hoffnungsträger kosten, den viele in seiner Heimat Brasilien schon als neuen Kaká verehren.
Labbadia glaubt nicht, dass die Jugend seiner Mannschaft (Durchschnittsalter knapp 24 Jahre) ein Nachteil sein muss - im Gegenteil. Viel verspricht er sich von der "Power und Unbekümmertheit" seiner Truppe. Sollte ein guter Saisonstart gelingen, könnte sich das Team in einen Rausch spielen.
Gerade in der Offensive könnte das eine Stärke sein, genau wie sich der teaminterne Konkurrenzkampf im Sturm befruchtend auf die Leistungen auswirken könnten. Stefan Kießling und Neuzugang Patrick Helmes konkurrieren auch um einen Platz im Kader der Nationalmannschaft. Sie könnten sich gegenseitig pushen. In den Testspielen agierten sie schon hervorragend nebeneinander. Auch Theofanis Gekas will von der Bank seine eher mäßige letzte Saison vergessen machen. Dazu müsste aber auch eine der größten Schwächen der letzten Saison ausgemerzt werden: Das Abschlusspech. 21-mal scheiterte Bayers Offensive am gegnerischen Aluminium.
Eine weitere Stärke liegt im Tor. René Adler absolvierte seine zweite Saison, knüpfte nahtlos an die starken Leistungen der Premieren-Spielzeit an und parierte sich sogar ins Nationalteam. Unter anderem war sein Verdienst, dass Bayer lediglich zwei Gegentore nach Weitschüssen kassieren musste.
Stark sind auch die Entwicklungsmöglichkeiten jeden einzelnen Spielers. Bei allen ist noch gehörige Luft nach oben, zudem hat man mit Richard Sukuta-Pasu, Marcel Risse, Stefan Reinartz, Deniz Naki und Bastian Oczipka noch fünf U19-Europameister in der Hinterhand, denen eine große Zukunft vorausgesagt wird. Die fehlende Erfahrung von Helmes und Co. wollen die Verantwortlichen zwar nicht als Schwäche sehen. Doch sie könnte sich gerade in engen Situationen in Auswärtsspielen negativ auswirken. Da wäre mehr Erfahrung sicher wünschenswert. Schade, dass auch Lukas Sinkiewicz noch länger ausfallen wird. Seine Aggressivität auf dem Platz stünde dem jungen Team sicherlich gut zu Gesicht.
Fehlen wird Bayer in der neuen Saison auch der Heimvorteil. Die Hinrunde bestreitet man zwar noch in der BayArena. Doch diese wird momentan erweitert und gleicht einer Baustelle. Zur Rückrunde folgt dann der Umzug in die LTU-Arena in Düsseldorf. Da das Fan-Potenzial Bayers eher gering ist und die meisten Fans direkt aus der Stadt kommen, werden die Heim- wohl zu Auswärtsspielen.
Auf diesen Spieler sollten Sie achten:
Im Fokus wird sicher Renato Augusto stehen. Schon seit der U17-WM 2005 steht der Techniker bei Bayers Scouts auf dem Wunschzettel. Dass es letztlich klappte, ist auch dem Umstand geschuldet, dass der Mittelfeldmann in der letzten Saison eher durchschnittlich kickte und sein Club Flamengo Geld brauchte. Da die großen Clubs in Europa kein Interesse zeigten, schnappte Bayer zu. Der langjährige Bayer-Chefscout Norbert Ziegler lobte bei ARDonline die Qualitäten des Jungen: "Ein kompletter offensiver Mittelfeldspieler, der auch unter Druck und bei höchstem Tempo beste Lösungen findet. Noch dazu schon in jungen Jahren ein Führungsspieler mit Teamgeist, Ausstrahlung und Charisma."
Unterschätzen sollte man den 20-Jährigen also nicht, obwohl er bei 1,85 Meter Körpergröße und seinen dünnen Beinen eher zart wirkt, jedoch gilt er als durchsetzungsfähig und sehr robust. Deshalb ist man bei Bayer auch sicher, dass er schnell den Durchbruch schaffen kann und sich wie Emerson, Jorginho, Lucio, Zé Roberto in die Liste der brasilianischen Volltreffer eintragen kann. Er selbst hat sich bereits hohe Ziele gesetzt: "Ich will Leverkusen im Mittelfeld verstärken." Mit einem tollen Weitschusstreffer beim Pokalspiel gegen Oberhausen setzte er schon einmal ein kleines Ausrufezeichen. "Renato hatte sehenswerte Aktionen, das macht Lust auf mehr", freute sich Völler.
Dieser Spielertyp fehlt:
Wie schon erwähnt, fehlt der Bayer-Elf ein routinierter Oldie. Ein Führungsspieler, der den Verlust der alten Recken Barbarez und Ramelow kompensieren kann. Sie hatten die Fähigkeit das Team in engen Situationen auch einmal beruhigen zu können und die Autorität, das Heft des Handelns in die Hand zu nehmen. Kein Wunder, dass Labbadia in diesem Zusammenhang im kicker dem Ausfall von Bernd Schneider bis in die Mitte der Hinrunde bedauert. "Ich hätte Bernd schon gerne vom Anfang an dabei. Seine Erfahrung und Klasse wird uns sicher fehlen."
So war es vor einem Jahr:
"Wir müssen die Distanz nach oben verringern", hatte Rudi Völler im letzten Sommer erklärt, nachdem Bayer in der Vorsaison Fünfter mit 51 Punkten geworden war. "Zu wenig", lautete das Urteil des Sportdirektors. Das Potenzial für ein besseres Abschneiden war da, wie erwähnt waren auch Ansätze da, doch am Ende fehlte wieder einmal die Konstanz. Bayer wurde, wie von Simon Rolfes erhofft, die "Überraschungsmannschaft" der Saison. Allerdings in negativer Hinsicht. Das Ende ist bekannt.
Das bewegt die Fans:
Die Umbauarbeiten am Stadion sind das alles beherrschende Thema in den Bayer-Foren im Internet. Jede Veränderung, jeder neue Bauzaun, jeder neu aufgestellte Kran werden kommentiert. "Leck mich am ***** ist das ein Teil", nur ein Beispiel für die vielen Posts. Zudem wird spekuliert, wie viele Stehplätze nun wirklich im neuen Stadion zur Verfügung stehen werden. Von den Mitarbeitern des Clubs haben die Fans offenbar dahingehend widersprüchliche Angaben bekommen, was einen Fan zu dem Eintrag veranlasste: "Wie inkompetent Mitarbeiter doch sein können..."
Wunschelf:
Adler - Djakpa, Henrique, Friedrich, Castro - Rolfes, Barnetta, Renato Augusto, Schneider - Kießling, Helmes
Die taktische Ausrichtung von Bayer unter Bruno Labbadia basiert auf einem 4-4-2-System. Doch an der Anordnung mit zwei Viererketten wird der Coach nicht sklavisch festhalten. Je nachdem, welche Mannschaft er auf das Spielfeld schickt ist auch durchaus ein 4-2-2-2 denkbar, in dem Kapitän und Führungsspieler Rolfes eine zweite Sechs zur Seite gestellt bekommt.
Möglich ist auch die Variante mit nur einem Sechser und drei offensiv ausgerichteten Mittelfeldspielern hinter zwei Sturmspitzen. Es könnte auch gut vorstellbar sein, dass Theofanis Gekas neben Helmes in die Sturmspitze rückt und dadurch Stefan Kießling auf die rechte Seite ins offensive Mittelfeld wechselt. Mit dem variabel einsetzbaren Arturo Vidal hat Labbadia eine weitere vielseitige Alternative in der Hinterhand. Sinkewicz wird nach überstandener Verletzung auch wieder in die Startelf drängen.
Auf jeden Fall will Labbadia offensiven Tempofußball spielen, mit Pressing viel Druck auf den Gegner ausüben. Das trainiert Labbadia in Trainingseinheiten meist in zwei Gruppen. Während die einen Spieler unter seiner Anleitung am Offensivspiel basteln, schrauben seine Assistenten an der Defensive.
Prognose:
"Platz vier bis acht", hat Völler als Zielvorgabe für die neue Saison ausgegeben. Doch sportal.de glaubt sogar, dass Bayer am Ende weiter oben landen wird. Wir prognostizieren optimistisch Platz drei. Natürlich nur unter der Voraussetzung, dass Bayer einen optimalen Start erwischt und alle Rädchen schnell ineinander greifen, die Spieler sich auf einem hohen Level etablieren und Bayer unter dem neuen Trainer endlich die nötige Konstanz findet. Ein wichtiger Faktor könnte dabei die fehlende Doppelbelastung sein, durch das Verpassen der internationalen Plätze geht es in dieser Saison nur um Punkte in der Bundesliga und um Siege im DFB-Pokal.

Die Qualitäten sind auf jeden Fall da und müssen nur abgerufen werden. Allerdings ist auch klar, dass die Clubs zwischen Platz drei und acht sehr eng beieinander liegen. Christop Daum ist sogar noch optimistischer als wir. Er erklärte kürzlich: "Jedes Team muss natürlich an den Bayern vorbei, um Meister zu werden. Mein Geheimfavorit ist aber Bayer Leverkusen."


Malte Asmus


Quelle:www.sportal.de