„Sigurður?“ fragte eine bekannte Stimme.
„Geh' weg.“ antwortete ich, ohne die Augen zu öffnen.
„Sigurður!“ wiederholte Niels.
„Ich sagte: Geh' weg!“ patzte ich zurück.
„Ich werde nicht gehen, bis du mit mir geredet hast.“ sagte Niels und ich hörte, wie er sich setzte.
„Dann mach's dir mal bequem.“ sagte ich knapp.
„Sigurður!“ wurde Niels lauter.
„Was willst du?!“ blaffte ich ihn an und drehte mich zu ihm um.
„Eine Erklärung, wie wär's damit?“ fragte er und funkelte mich an.
„Ich bin gestolpert. Blöd gelaufen.“ meinte ich nur.
„Klar doch.“ meinte Niels. „Und wenn du anders gestolpert wärst?“
„Dann müsste ich jetzt nicht mit dir reden.“ meinte ich nur und drehte mich wieder um.
„Du hast versucht, dich umzubringen!“ schrie Niels und sprang auf.
„Und wenn schon.“ erwiderte ich.
„Ich habe zumindest eine Erklärung verdient!“
„Was?“ fragte ich leise und merkte, dass meine Stimme einen bedrohlichen Klang annahm.
„Ich will eine Erklärung! Zumindest das bist du mir schuldig!“ schrie er aufgebracht.
„Ich schulde dir einen Dreck.“ antwortete ich patzig.
„Wie bitte?!“ keifte er. „Ich war immer für dich da. Immer!“
„Das hat auch wahnsinnig gut funktioniert.“ meinte ich nur.
„Wenn du mich anlügst – mehr als für dich da sein, wenn du reden willst, kann ich nicht tun. Ich bin nicht dein Psychiater!“ wurde Niels langsam wütend.
„Und wenn schon.“ gab ich emotionslos zurück. „Ich war betrunken und high. Es wird nicht wieder passieren.“ fügte ich an.
Eine weile lang schwiegen wir beiden uns nur an.
„Willst du noch irgendwas?“ fragte ich schließlich und beendete das Schweigen.
Niels sah mich traurig an. „Nein.“ sagte er dann endlich und wandte sich zum gehen. „Wenn du in deiner Pfütze aus Selbstmitleid bis dahin nicht ersoffen bist, ruf mich morgen an. Oh, und ich soll dir von Emma ausrichten, dass Lars die Mannschaft bis auf weiteres betreut. Ich habe ihr nur gesagt, dass du eine Gehirnerschütterung hast. Wenn du so weit bist, sollst du sie –“
„Das wird nicht passieren.“ unterbrach ich ihn.
„Was?“ fragte Niels und die Wut und Trauer in seiner Stimme war Überraschung gewichen.
„Ich werde kündigen.“ sagte ich nur.
„Was?!“ fragte Niels.
„Diese verlogene Branche hat mich dahin gebracht, wo ich jetzt bin. Ich bin fertig damit.“ antwortete ich.
„Du bist gut darin.“
„Und?“ fragte ich.
„Such' dir Hilfe.“ antwortete Niels. „Und arbeite weiter.“ fügte er hinzu.
„Und wozu das ganze?“ fragte ich mürrisch weiter, während ich einen Weg suchte, das Gespräch schnell zu beenden.
„Wenn du ohne Job dein Leben weiterlebst, bei deinem Verschleiß an Scotch und Oxycodon bist du in zwei Jahren tot.“
„Ich würde es sicher in einem Jahr schaffen.“ korrigierte ich ihn und das erste Mal heute stahl sich ein Lächeln auf mein Gesicht.
„Wunderbar. Deinen Sarkasmus wird dir nicht einmal der Teufel austreiben können, oder?“ fragte Niels und auch seine Stimmung lockerte sich.
„Ich, mein Freund, werde dem Teufel noch einiges beibringen können.“ meinte ich nur. „Und ich da ich sowieso in die Hölle komme – also, wenn es sie gibt – kann ich mir das auch verdienen.“
„Was wird das denn jetzt?“ fragte Niels skeptisch. „Hast du eingesehen, dass deine Taten und Worte Menschen wehtun?“
„Nein.“ antwortete ich.
„Sondern?“ fragte er nach.
„Eher geht ein Kamel durch ein Nadelöhr, als dass ein Reicher in das Reich Gottes gelangt. Markus 18, 25.“ antwortete ich. „Hat dich das noch nie stutzig gemacht?“ fragte ich.
„Eigentlich nicht.“ antwortete er. „Aber zurück zum Thema – du solltest im Verein bleiben.“ meinte er.
„Ich weiß.“ sagte ich nur. „Und du wärst verloren ohne mich, falls ich wegziehen sollte.“ fügte ich hinzu.
„Bitte?“ fragte Niels und verlor kurz die Kontrolle über seine Kinnlade.
„Nimmt man meine angenehme Gesellschaft weg und meine Wohnung, in der du wohnst, was bleibt dann noch? Ich sag's dir: Ein mittelmäßiger Arzt mit einer unterbelichteten Freundin und einem fragwürdigen Haarschnitt.“
„Du bist wirklich unglaublich.“ sagte Niels aufgebracht.
„Danke.“
„Das war kein Kompliment!“
„Ich denke schon.“
„Du bist der arroganteste und aufgeblasenste Typ, dem ich je begegnet bin – wie kann ein Mensch da nicht dein Freund sein wollen?!“ redete er sich in Rage.
„Weil du mich brauchst.“ antwortete ich ruhig. „Und ich brauche dich.“ fügte ich hinzu und mein Blick schweifte zum Fenster. „Und ich brauche den Job. Du hast Recht.“ fügte ich hinzu.
„Also ist alles soweit ok bei dir?“ fragte Niels vorsichtig.
„Ist es.“ antwortete ich.
„Schön.“ meinte er und stand auf. „Wenn du vor mir stirbst, werde ich dich über den Kamin hängen.“ fügte er hinzu und das erste Mal heute schien er aufrichtig zu lächeln.
„Wie lieb von dir.“ meinte ich säuerlich.
„Ich weiß.“ antwortete er und sah mich an. „Wirst du dir Hilfe suchen?“ fragte er schließlich nach einer Weile des Schweigens.
„Nein.“ antwortete ich nur knapp. „Ich brauche keine Hilfe.“
„Doch.“ antwortete Niels. „Aber so lange du das nicht einsiehst, kann dir auch keiner helfen.“ meinte er nur und schüttelte den Kopf.
Er ging zur Tür und öffnete sie, drehte sich dann aber nochmal um. „Hast du noch genug Oxy da?“ fragte er und ich konnte die Enttäuschung in seiner Stimme hören. Kein gutes Gefühl.
„Nicht direkt.“ antwortete ich.
„Was meinst du?“ fragte er irritiert.
„Ich werde aufhören.“ sagte ich schließlich. „Kalter Entzug.“
„Wie bitte?“ fragte Niels und sah mich entgeistert an.
„Ich nehme mir die nächsten drei Wochen frei, länger dauert so ein Entzug von Oxy nicht. Die Schwestern passen wegen des Sturzes eh auf mich auf.“ erklärte ich mich und ich wusste, dass Niels eine andere Antwort wollte. „Die Kombination aus Schmerzmitteln und Alkohol hat mich beinahe zu etwas gebracht, was ich nicht nochmal riskieren will.“ ergänzte ich.
Niels lächelte und nickte langsam. „Ich bin beeindruckt.“ sagte er schließlich. „Du wirst erwachsen.“
„Ich akzeptiere nur, dass ich so nicht weitermachen kann.“
„Das ist erwachsen.“
„Dann macht Kind sein eindeutig mehr Spaß.“
„Du, mein Freund, hattest schon seit Jahren keinen Spaß mehr.“ antwortete Niels nur und ich nickte.
„Irgendwas muss sich ändern.“ stellte ich fest.
„Falls du irgendetwas brauchst, melde dich.“ sagte Niels und ließ die Tür hinter sich ins Schloss fallen.
Ich sah der Tür eine Weile lang nach. Ich wusste, es war die Richtige Entscheidung. Ich wusste längst, dass ich ein Suchtproblem hatte, und mittlerweile konnte ich es nicht mehr ignorieren. Die kommenden Wochen würden die Hölle auf Erden für mich werden, das war mir klar. Aber was ich zu Niels gesagt hatte, meinte ich ernst – irgendetwas musste sich ändern.