„Was tun sie denn noch hier um diese Uhrzeit?“ erwischte mich eine Stimme von hinten und ich schreckte von meinem Schreibtisch auf.
„Wie bitte?“ fragte ich verwirrt. „Ich arbeite hier.“ stellte ich fest.
„Es ist gleich Mitternacht. Sie sollten nach Hause gehen.“ sagte Anna und sah mich mitleidvoll an.
„Der nächste Spieltag steht bald an, ich habe zu arbeiten.“ antwortete ich.
„Sie haben heute einen großartigen Sieg eingefahren.“ stellte sie fest.
„Ich weiß. Das ist eben mein Ding.“ gab ich zurück.
„Sieg gegen den dritten Erstligisten diese Saison. Das ist beeindruckend.“ sagte sie und trat näher an meinen Tisch heran. „Zwar nur im Elfmeterschießen, aber trotzdem.“
„Machen sie mir nur Komplimente, um sie dann zu revidieren?“
„Ich sagte doch schon, dass es beeindruckend war.“
„Danke, aber wie gesagt – das ist eben mein Ding.“ wiederholte ich.
„Sie sollten sich trotzdem den Abend freinehmen, finde ich.“ antwortete sie.
„Und dann?“ fragte ich gelangweilt und wandte mich wieder meinem Schreibtisch zu.
„Ein wenig feiern.“ antwortete sie.
„Wozu das denn?“ fragte ich nicht weniger gelangweilt.
„Oh, so ist das.“ stellte sie fest. „Sie haben niemanden zum Feiern.“ fügte sie an.
„Woher wollen sie das wissen?“ fragte ich und drehte mich um.
„Ich weiß sowas eben.“ sagte sie spitz.
„Warum tun sie das? Ich will nicht, dass sie das machen!“ erwiderte ich – und meinte das ernst. Eigentlich war das nämlich genau mein Part der Konversation.
„Sie sagen, Gewinnen ist ihr Ding. Das hier ist mein Ding.“ antwortete sie.
„Oho. Ich bin fast beeindruckt.“ kommentierte ich.
„Dann feiern sie doch mit mir.“ bot sie an.
„Wie bitte?“ fragte ich, doch ich bekam keine Antwort. Stattdessen stellte Anna mir zwei Gläser auf den Tisch und setzte sich auf die Kante.
„Was ist das?“ fragte ich.
„Eine Einladung.“ antwortete sie vielsagend und griff sich eine Flasche Scotch aus ihrer Tasche – Glenfiddich 18, was zwar nicht meinem Idealbild von Scotch entsprach, aber es war immerhin besser als nichts. „Auch ein Glas?“ fragte sie und schenkte sich ein.
„Wieso tun sie das?“ fragte ich und schüttelte den Kopf, was sie nicht davon abhielt, mir auch etwas einzuschenken.
„Ich dachte jetzt, wo sie schon mal hier sind, könnten wir das beste draus machen.“ antwortete Anna. „Also, was ist ihr Plan?“ fragte sie mich dann.
„Erst erobern wir Berlin, dann umkreisen wir Warschau und schreien laut 'Überraschung'.“ antwortete ich.
„Sie wissen, was ich meine. Lenk' nicht ab.“ sagte sie und mir entfiel nicht, dass sie mich duzte.
„Sie wissen, dass zwischen uns beiden nichts passieren wird, oder?“ fragte ich schließlich.
„Ja.“ antwortete Anna gedankenverloren. „Und warum?“ fragte sie zurück.
„Weil wir miteinander arbeiten.“ antwortete ich.
Eine Weile sahen wir uns nur schweigend an, während Anna weiter Scotch trank.
„Und?“ fragte sie weiter.
„Und weil es dann kein Zurück mehr gäbe.“ fügte ich hinzu.
Wieder füllte Schweigen den Raum.
„Sie empfinden etwas für mich, oder?“ fragte sie.
„Nein.“ antwortete ich kalt.
„Sie lügen.“ fiel mir Anna ins Wort. „Und sie wissen, dass ich das weiß.“
Wieder Schweigen.
„Sie sind die beste Assistentin, mit der ich je gearbeitet habe. Aber mehr ist da nicht.“ sagte ich schließlich. „Und mehr wird da nicht sein.“ fügte ich an.
„Wie schade.“ antwortete Anna mit träumerischer Stimme und strich ihren sehr kurzen Rock entlang.
„Gehen sie nach Hause. Schlafen sie.“ antwortete ich und drehte mich wieder meinem Laptop zu, denn dem Ton nach zu urteilen hatte ich eine Mail bekommen. Eine Weile sagten wir beide nichts, ehe mich ein Stück Stoff am Kopf traf.
„Was zum Teufel war das?“ fragte ich und schreckte hoch.
„Ich denke, das wissen sie.“ antwortete Anna und zwinkerte. Ich sah auf das Stück Stoff auf meinem Schreibtisch an – das zugegebenermaßen sehr wenig Stoff war – und schüttelte den Kopf.
„Sie verstehen es nicht, oder?“ sagte ich und stand auf.
„Ich gebe mich nur ungern geschlagen.“ antwortete sie und erhob sich ebenfalls.
„Gehen sie nach Hause.“ sagte ich bestimmt. „Oder, wenn sie es nötig haben, rufen sie den Winterpraktikanten an. Der fängt schon an zu sabbern, wenn er nur ihr Parfum riecht.“
„Und sie?“
„Ich gehe jetzt den Sieg feiern. War ein guter Einfall.“ antwortete ich und ging zur Tür, eine perplexe Assistentin zurücklassend.
Ich setzte mich in mein Auto und drückte aufs Gas. Anna war sicherlich eine Wucht und der Praktikant fing auch nicht ohne Grund an zu sabbern, aber mein Typ war sie irgendwie nicht. Da fand ich mein Alternativangebot schon ansprechender – in der Mail hatte Emma Claire mir angeboten, noch auf eine 'Nachbesprechung' – und die Anführungszeichen hatte ich nicht einmal dazu gedacht – zu ihr zu fahren. Die Straßen waren frei und so war ich binnen zehn Minuten da. Das Haus war definitiv beeindruckend, dachte ich mir, während ich aus dem Wagen stieg und zur Tür schritt. Ich warf mir zwei Oxy ein, ehe ich klingelte und keine Sekunde später öffnete sich auch schon die Tür.
„Guten Abend, Sir.“ begrüßte mich eine männliche Stimme.
„Wer sind sie denn?“ fragte ich und musterte den Mann im schwarzen Frack, der die Tür öffnete.
„James, Sir. Madame Claire wartet im Arbeitszimmer auf sie, Sir.“ antwortete er freundlich und lächelte dümmlich.
Ich trat in den Flur und sah mich um. Man erkannte, wie teuer und modern die Einrichtung war – es war nicht dieser offensichtliche Prunk, vielmehr sahen die Möbel auf den ersten Blick so aus, als gäbe es sie in jedem Möbelgeschäft zu kaufen, doch die Details schrien auf den zweiten Blick 'Ich bin ein Designerstück!'. Ich hasste es.
„Kommen sie herein, Herr Mikaelsson.“ bat mich Emmas Stimme aus dem Zimmer am Ende des Ganges.
„Wer ist das denn bitte?“ fragte ich und nickte dem Butler zu, als ich ins Zimmer getreten war.
„Das ist James, mein Butler.“ antwortete Emma und konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen.
„Sie haben ernsthaft einen Butler?“ fragte ich.
„Ja.“
„Und der heißt ernsthaft James?“
„Nein, eigentlich nicht.“ antwortete sie. „Aber er will so genannt werden, er meinte, es verleiht ihm Würde.“ fügte sie an.
„Der Hellste ist er nicht, oder?“ fragte ich nach.
„Dumm wie 30 Meter Landstraße bei Kassel.“ bestätigte sie. „Aber er ist der einzige Sohn meiner Patentante, und von daher...“ meinte sie.
„Wie großzügig.“ meinte ich amüsiert. „Und was wollten sie jetzt von mir?“ fragte ich nach einer Pause.
„Das schrieb ich ihnen doch.“ antwortete sie. „Eine Nachbesprechung.“
„Sie wissen, dass sie Anführungszeichen dazu geschrieben haben?“ fragte ich nach und hob die Augenbraue.
„Ach ja?“ fragte sie gelangweilt. „Möglich, ich schreibe meine Mails nicht selbst, ich diktiere sie nur vor.“ sagte sie und schloss die Tür hinter mir. „Wollen sie was Trinken?“ fragte sie.
„Haben sie Scotch?“ fragte ich nach.
„Klar.“ meinte sie. „Lassen sie mich raten, Macallan 18?“ fragte sie weiter und ging zum Schrank. „Oder ist ihnen das zu Mainstream?“ hakte sie nach, nicht ohne einen ironischen Unterton.
„Haben sie auch Aberlour oder Glendronach?“
„Balvenie?“
„Klingt vernünftig.“ meinte ich und nickte.
„Also dann, fangen wir an.“ sagte Emma und klappte den Laptop auf ihrem Tisch zu.
Quellen: Anna, Emma |