„Was ist denn mit dir los?“ fragte ich Niels und sah ihn mit ebenso fragendem Blick an. Mein Mitbewohner saß am Küchentisch, stütze den Kopf auf und genehmigte sich gläserweise Whiskey – meinen Whiskey wohlgemerkt.
„Hm?“ fragte er nur teilnahmslos und hob den Kopf leicht.
„Büßt du für die Sünden von letzter Nacht?“ fragte ich nach.
„Ich wünschte, das hättest du nicht gesagt.“ grummelte er.
„Wieso?“ fragte ich weiter.
„Ich war bei meiner Schwiegermutter, sie lebt ja nicht weit von hier.“ gab Niels zurück. „Ex-Schwiegermutter.“ korrigierte er sich.
„Ist sie scharf?“
„Was ist nur los mit dir?“ fragte er aufgebracht.
„Du hast angefangen.“
„Das habe ich ganz sicher nicht!“
„Jedenfalls, was ist los?“ fragte ich weiter.
„Ich – ich weiß auch nicht.“ sagte er und leerte sein Glas.
„Stop!“ rief ich.
„Was?“ fragte Niels, der in Begriff war, sich nachzuschenken und sah mich an.
„Das ist mein Scotch. Der kostet 200€ pro Flasche, und du kippst dir das Zeug runter wie Tequila aus dem Billigdiscounter.“ meinte ich und nahm ihm die Flasche aus der Hand. „Und außerdem – was ist los?“ fragte ich weiter.
„Es ist nur – es ist wegen Mia.“ sagte er und hob den Blick.
„Du hast Schuldgefühle.“ stellte ich fest und nahm mir selbst ein Glas aus dem Regal.
„Ja. Nein. Ich weiß es nicht.“ resignierte Niels. Ich nickte schweigend und schluckte eine Oxycodon, ehe ich mir auch ein Glas Scotch einschenkte und mich an den Tisch setzte.
„Es ist ok, weiterzumachen.“ sagte ich.
„Ich weiß.“ antwortete Niels. „Hat sie mir auch gesagt.“
„Sehr schön.“ antwortete ich. „Also, wann kommt Mia heute?“ fragte ich weiter.
„Was?“
„Mia. Deine Freundin. Du erinnerst dich?“ fragte ich weiter.
„Ja, schon klar. Ich weiß nur nicht, ob ich –“
„Erzähl' ihr von deinem heißen Abenteuer mit deiner Stiefmutter, dann kriegst du vielleicht Mitleidssex.“ unterbrach ich ihn. Niels schüttelte nur angewidert den Kopf.
„Was stimmt nur nicht mit dir?“
„Ich weiß wirklich nicht, was du meinst.“ antwortete ich.
„Ich weiß nicht, ob ich sie heute sehen will.“ meinte Niels.
„Sie tut dir gut.“ stellte ich nüchtern fest. „Also hör' auf dich zu bemitleiden und mach was draus.“ sagte ich. Niels nickte langsam.
„Du hast ja recht.“ stimmte er zu.
„Ich weiß.“ gab ich zurück und erntete ein genervtes Seufzen.
„Seit wann interessiert dich eigentlich mein Privatleben?“ fragte Niels nach einer Pause nach.
„Tu ich doch gar nicht.“
„Natürlich, du hast gerade eben gefragt, wann Mia –“
„Das hatte nichts mit dir zu tun.“ fiel ich ihm ins Wort.
„Sondern?“
„Sie nervt.“ stellte ich fest. „Und deswegen will ich nicht da sein, wenn sie hier ist.“
„Sehr charmant.“
„Wenn dir meine Antworten nicht passen, dann hör auf zu fragen.“ antwortete ich patzig.
„Na meinetwegen.“ antwortete Niels. „Aber sag bloß ihr nicht, dass du sie nicht magst – denn ich mag sie wirklich.“
„Keine Sorge, ich habe nicht vor, mehr als nötig mit ihr zu reden und ich wollte ohnehin gerade gehen.“ antwortete ich. „So lange du ihr nicht sagst, wie sehr du sie magst.“
„Wie bitte?“
„Du darfst einer Frau nicht gleich sagen, dass du sie magst.“ klärte ich ihn auf und ging zur Tür. „So bleibt man geheimnisvoll.“
„Ja.“ stimmte Niels mir zu, während ich die Tür öffnete. „Und für immer alleine.“ fügte er hinzu.
Ich stand draußen im Flur und sah mich um. Ich wusste nicht genau, was ich jetzt tun sollte – ich hatte eigentlich nicht vorgehabt zu gehen, aber das Gespräch war mir irgendwie entglitten. Ich sollte Niels in diesem Zustand eigentlich nicht alleine lassen – aber es war kurz vor sieben, wenn es so lief wie üblich würde Mia bald kommen und dann war ich ohnehin überflüssig und das Rumgeturtel der beiden wollte ich ebenso wenig ertragen müssen. Ich ging langsam zum Fahrstuhl und fuhr nach unten – noch immer fragte ich mich manchmal, was ich wohl tun würde, wenn der Fahrstuhl mal ausfiele. Unser Apartment lag im siebzehnten Stock, das bedeutete Siebzehn mal Fünfundzwanzig Treppenstufen – was für mich und mein Bein wohl nicht zu machen wäre. Ich stieg unten aus dem Fahrstuhl und trat vor die Tür. Es war frisch an der Luft, doch die Luft war gut und es war ein schöner Abend für die Jahreszeit. Trotz der Nachts auf Minustemperaturen zugehenden Temperaturen war es trocken und dadurch blieb das Wetter erträglich. Ich humpelte über die Straße und setzte mich in mein Auto. Ich startete den Motor und fuhr los – ich wusste nicht, wo genau ich hinwollte, aber ich genoss das Fahrgefühl. Und dann, nach bestimmt zwei oder drei Stunden, die ich durch München und die Umgebung gefahren war, kam mein Wagen zum Stehen. Ich stieg aus und ging über die Straße. Der Türsteher sah mich zwar missmutig an, doch ich schrieb das einfach seiner Berufswahl zu – falsch gedacht.
„Stop.“ sagte er mit fester Stimme zu mir und baute sich vor mir auf.
„Was wollen sie?“ fragte ich genervt und holte das Portemonnaie aus der Tasche.
„Kein Geld.“ antwortete der Wandschrank von Türsteher.
„Wie bitte?“ fragte ich nach.
„Kein Geld.“ wiederholte er.
„Sondern?“
„Ihren Stock.“ sagte er ruhig.
„Wie bitte?!“
„Ihren Stock, bitte.“ wiederholte er.
„Ey man, ich bin 'n Krüppel!“ erwiderte ich unwirsch.
„Hören sie, sie haben eindeutig getrunken.“ antwortete der Türsteher. „Also entweder geben sie mir ihren Stock, oder sie gehen wo anders hin.“ führte er ruhig aus und streckte den Arm aus.
„Wissen sie eigentlich, wer ich bin?!“
„Natürlich.“ antwortete er und seine Mine hellte sich etwas auf. „Und wenn sie nicht wollen, dass alle Welt erfährt, wo sie sich herumtreiben, dann tun sie besser was ich sage.“ sagte er und setzte ein triumphierendes Gesicht auf. „Und wo sie schon dabei sind, wegen ihrer Widerworte kostet es wohl doch etwas.“ sagte er und grinste.
Ich sah ihn an und schüttelte angewidert den Kopf. „Na schön.“ grummelte ich und gab ihm erst meinen Gehstock und anschließend einen 50€-Schein. „Lassen sie mich jetzt rein?“ fragte ich unwirsch.
„Schönen Abend noch.“ sagte er und trat beiseite.
Ich humpelte an ihm vorbei und sah mich um – der Abend war noch jung und ich hatte einiges an Zeit totzuschlagen und hier ging das definitiv gut.
Quellen: Scotch, Stripclub |