Die Tage seit dem letzten Bundesligaspieltag waren nicht besonders angenehm, doch mit der Zeit schien tatsächlich alles einen halbwegs geregelten Ablauf zu bekommen. Hasan Ismaik wurde unter den Augen der Presse und aller Mitarbeiter und demonstrativ in Handschellen abgeführt, während seine Insolvenzverwalter gemeinsam mit dem Verein weiterhin nach einem geeigneten Käufer für die Aktien Ismaiks suchten. Ich hatte dieser Tage wenig zu tun – der Vertrag mit Juniorennationalspieler Alexander Avdijaj ab der kommenden Saison galt nach wie vor, dazu bekamen auch die Mittelfeldspieler Sebastian Mockenhaupt, Markus Vucinovic und Nachwuchsstürmer Julian Sama einen Vertrag für die kommende Spielzeit. Die auslaufenden Spieler- und auch Mitarbeiterverträge einschließlich meines eigenen blieben 'bis auf weiteres' unangetastet, doch fürs erste war man übereingekommen, sich noch nicht nach einem neuen Arbeitgeber umzusehen. So tat ich, was mir gar nicht lag: Einfach der Dinge harren, bis sich eine Entscheidung anbahnte. Immerhin war für Ablenkung gesorgt, denn in einem Anfall von Idiotie hatte ich einem der zehntausend Versuche von Niels, mich von der Trennung von Amanda abzulenken, zugestimmt, und war mit ihm Kaffee trinken gegangen – in einem dieser auf schick getrimmten Cafés in der Münchener Innenstadt, in der der Geruch von billigem Maschinenkaffee in der Luft lag und in der nur die Ausschnitte der auf Trinkgeld gierigen Angestellten noch unverschämter waren als die Preise. Und da ich zu allem Überfluss auch noch beim Münzwurf verloren hatte, durfte auch noch ich den Kaffee bezahlen. Niels grinste mich schadenfroh an, während ich in der Schlange wartete und darauf wartete, an die Reihe zu kommen.
„Also, das waren dann zwei Espressos und –“
„Nur O.“ fiel ich der Frau hinter dem Tresen ins Wort.
„Wie bitte?“ fragte diese irritiert.
„Der Plural von Espresso ist Espresso, nicht Espressos.“
„Wie auch immer. Und was dazu?“
„Einen kleinen Latte Macchiato und einen großen Kaffee, schwarz.“
„Welche Größe?“ fragte sie unsicher nach.
„Groß.“
„Sie meinen venti?“ hakte sie nach.
„Nein, ich meine groß.“ erwiderte ich genervt.
„Venti ist groß.“ stellte die Barista fest.
„Nein. Venti heißt zwanzig. Groß ist Groß. Genau genommen –“ Ich warf einen Blick auf die Tabelle mit den Größenbezeichnungen über dem Kassenbereich „– ist 'large' englisch für groß und 'grande' ist spanisch für groß. Venti ist die einzige ihrer 'großen' Größen, die nicht 'groß' bedeutet. Es ist übrigens auch das einzige Wort, das tatsächlich italienisch ist. Meinen Glückwunsch, sie sind inkompetent in vier Sprachen. Und jetzt geben sie mir ihren größten verdammten Pott Kaffee, egal wie sie ihn nennen.“
Die Barista sah mir verwirrt in die Augen.
„Un grande caffé, per favore.“ wiederholte ich mich auf italienisch.
„Wie bitte?“
„Kaffee. Jetzt. Zackig.“ so langsam riss mir der Geduldsfaden und endlich schaffte auch die Barista, die von ihrem Namensschild als 'Mia' ausgewiesen wurde – mit so einem Namen konnte man wohl nicht viel mehr erwarten.
„14,20€, bitte.“ sagte sie leise und stellte mir die vier Tassen aufs Tablett.
„Das kann unmöglich ihr ernst sein!“
„14,20€, bitte.“ wiederholte sie lauter.
„Meinetwegen.“ grummelte ich und warf drei 5€-Noten auf den Tresen. „Stimmt so.“ sagte ich unwirsch und humpelte mit dem Tablett in der Hand zu Niels an den Tisch.
„Na, war die Barista gut?“ fragte Niels und gab sich nicht gerade Mühe, die Schadenfreude in der Stimme zu unterdrücken.
„Total. Hab sofort 'ne Latte bekommen.“ sagte ich schnippisch und stellte Niels seinen Latte Macchiato vor die Nase.
„Der ist mit extra Sahne.“ stellte dieser nur fest und ignorierte meinen Spruch.
„Also meine ist es sicher nicht.“ legte ich noch einen nach – und erreichte den gewünschtem Effekt.
„Du bist widerlich.“ konsternierte Niels.
„Danke.“
„Da ist trotzdem extra Sahne drauf.“ wiederholte sich Niels.
„Wie du bereits erwähntest. Na und?“ fragte ich gelangweilt nach.
„Ich hab' keine bestellt.“
„Besonders kompetent wirkt die nicht, nimm's dir nicht zu Herzen.“ sagte ich und nahm einen Schluck meines Kaffees – er roch nicht nur billig, sondern schmeckte auch so.
„Ich bekomme bei dieser Barista immer extra Sahne, völlig egal was ich bestelle.“
„Immer?“ fragte ich nach und hob eine Augenbraue.
„Immer.“ bestätige Niels.
„Nun, das bedeutet eindeutig, sie steht auf dich.“ sagte ich und nun war es an mir, Schadenfroh zu sein.
„Meinst du?“ fragte Niels unsicher.
„Meine ich. Oder fällt dir etwa in besserer Grund ein?“
„Nein, eigentlich nicht. Ich hatte gehofft, dir fällt einer ein.“ Eine leichte Unsicherheit lag in Niels' Stimme.
„Keine Chance. Also los, frag sie nach 'nem Date.“
„Was?!“
„So läuft das in der Welt der Erwachsenen.“
„Ich lasse mir hier gerade nicht das Datingleben von jemandem erklären, der vorletztes Jahr zu Weihnachten ein Geschenk von einer seiner Nutten geschenkt bekommen hat, oder?“
„Stammkunde sein zahlt sich eben aus. Aber los, lenk' nicht ab. Frag sie nach 'nem Date!“ wiederholte ich mich.
„Sie ist nicht mein Typ.“ blockte Niels ab.
„Nicht dein Typ?!“ fragte ich entgeistert nach. „Sie ist jung, schlank, hübsch – selbst die andere Barista gafft ihr auf den Hintern und bei der bin ich mir eigentlich zu 60% sicher, dass sie nicht lesbisch ist. Die Frau ist jedermanns Typ!“
„Trotzdem.“
„Gutes Argument.“ stellte ich ironisch fest.
„Sie ist einfach...“
„Du hast Angst.“ brachte ich es auf den Punkt.
„Nein.“
„Das war keine Frage.“
„Na schön. Ja, ich habe Angst. Das letzte Mal als ich jemanden nach einem Date gefragt habe, war vor dem Abschlussball!“ antwortete Niels aufgebracht.
„Dann wird es höchste Zeit, mal wieder jemanden nach einem Date zu fragen.“ stellte ich fest.
„Aber –“
„Falsche Antwort.“ unterbrach ich ihn.
„Meinetwegen. Wenn du mal wüsstest, wie nervig das ist.“
„Willkommen in meiner Welt.“ gab ich zurück und Niels stand Kopfschüttelnd auf.
„Was ist?“ Niels war stehen geblieben und schien nicht recht zu wissen, was er tun sollte.
„Ich weiß' nicht, soll ich einfach zu ihr hingehen und sie fragen? Sie muss doch arbeiten.“ fragte Niels unsicher nach.
„Es ist jetzt 13:49. Wenn die hier arbeiten wie überall, hat sie in zehn Minuten Pause. Setz' dich hin, wenn sie das nächste Mal herkommt schenkst du ihr ein Lächeln und dann wird sich in ihrer Pause sicherlich eine Möglichkeit ergeben, sie Anzusprechen.“ beschwichtigte ich ihn weiter.
Und tatsächlich – Die Barista sah zu uns rüber, Niels lächelte ihr zu und keine zehn Minuten später waren die beiden in ein Gespräch verwickelt. Ich saß da, nahm zwei Oxycodon und trank meinen Kaffee aus, so lange die Hitze den wässrigen Geschmack noch einigermaßen überlagerte und als das Gespräch immer weiter ging, leerte ich erst meinen und dann Niels' Espresso. Und dann endlich, nach einer gefühlten Ewigkeit, die in Wahrheit nicht ganz eine halbe Stunde war, kam Niels wieder.
„Und?“ fragte ich siegessicher.
„Du hattest recht.“ antwortete Niels nur und strahlte förmlich. „Sie ist 24, sie heißt Mia –“
„Zu ihrer Berufskleidung gehört ein Namensschild, ich kenne ihren Namen.“ unterbrach ich Niels – was der gar nicht zu merken schien.
„– und sie arbeitet nur für kurze Zeit hier, weil sie ab dem Wintersemester nach ihrem abgeschlossenen Bachelorstudiengang jetzt den Masterstudiengang in Politikwissenschaften belegt.“
„Also ist sie kein vollberufliches Hohlbrot, sondern nur vorübergehend?“
„Und wir beide gehen heute Abend essen.“ beendete Niels seine Ausschweifungen, ohne auch nur im entferntesten erkennen zu lassen, ob er mitbekommen hatte, dass ich meinen Senf dazu gegeben hatte.
„Sehr schön. Ich hab's dir ja gesagt.“
„Ich weiß. Und danke. Denn ich denke, wir beide haben einiges gemeinsam.“ sagte Niels und leerte den letzten Rest seines Latte Macchiato.
„Also bitte. Du hast gerade die erste Konversation mit ihr geführt, nach der du sie nicht bezahlt hast.“
„Das vermittelt einen etwas falschen Eindruck, meinst du nicht?“ wies mich Niels auf das offensichtliche hin.
„Trotzdem – niemand findet so schnell Gemeinsamkeiten. Oder was habt ihr denn beide gemeinsam?“ fragte ich und konnte den leichten Anflug von Spott in meiner Stimme nicht verbergen.
„Wir halten dich beide für ein unsensibles Arschloch.“ antwortete er trocken und stand auf. „Na los, gehen wir?“
Ich lachte nur und schüttelte den Kopf, während ich aufstand – immerhin würde ich so den Abend über meine Ruhe haben.
Quellen: Starbucks, Mia |