Ich saß im Wohnzimmer und sah die Nachrichten, während mir langsam der Geruch von geschnittenen Zwiebeln in die Nase stieg. Genau genommen sah ich nicht mehr die Nachrichten, sondern bereits den Wetterbericht für den morgigen Tag – den die Wetterfee mit „...heiter bis wolkig, gebietsweise Regen.“ beschloss. Ich mochte deutschen Wetterbericht. Ich verstand ihn nicht immer, aber ich mochte ihn. Manchmal lag er zwar falsch, klar, aber in den meisten Momenten war es einfach eine höfliche Umschreibung für 'keine Ahnung, merkste schon selber'. Ich drehte mich um und sah in die Küche – Amanda stand in Küchenschürze da und schnitt irgendein aus der Ferne nicht zu definierendes Gemüse klein, was mich schon irgendwie verwirrte. Amanda war zwar ein großer Fan vom Essen, aber Kochen lag auf ihrer Interessenliste eigentlich eher weiter unten.
„Was kochst du?“ fragte ich interessiert.
„Eine Brokkoli-Wirsing-Artischocken-Pfanne. Na ja, mit Zwiebeln und Paprika.“ sagte sie und lächelte.
„Wie bitte?“ hakte ich nach.
„Was denn?“ fragte sie und machte eine Unschuldsmine.
„Brokkoli schmeckt nur gut, wenn er kurz vor dem Servieren durch 'ne Bratwurst ersetzt wird. Und Wirsing wird irgendwann an der Spitze der Nahrungskette stehen, weil er keine natürlichen Fressfeinde mehr hat. Also – was kochst du?“
„Eine Brokkoli-Wirsing-Artischocken-Pfanne mit Zwiebeln und Paprika.“ wiederholte Amanda langsam und sah mich an, als würde ich auf Chinesisch mit ihr reden.
„Na schön. Niels, was bestellen wir uns zu Essen?“ rief ich laut in Richtung seines Zimmers – eine Antwort bekam ich nicht, dafür ein Kichern von Amanda. Ich sah sie etwas verwundert an und wartete eine Erklärung ab.
„Niels ist nicht da.“
„Ist er nicht? Ich hab' doch eben noch mit ihm geredet.“
„Er ist vor knapp zwanzig Minuten gegangen.“
„Ärgerlich. Alleine erreiche ich den Mindestbestellwert nicht, es sei denn, ich hol' mir ne Maxi-Pizza.“ sagte ich und griff nach dem Telefon und setzte Amanda damit unter Zugzwang.
„Ist ja gut, du Nervensäge.“
Endlich knickte sie ein, dachte ich mir – mimte aber weiter den Unschuldigen. „Was denn?“
„Es gibt ganz klassisch Kotelett, dazu gemischten Salat und Kartoffeln.“ sagte sie und ich nickte bestätigend.
Das Essen war ausgesprochen gut und auch wenn Amanda während des Essens ein wenig Konversation betrieb, wurde ich das Gefühl nicht los, das irgendetwas nicht stimmte und auch als wir uns nach dem Essen ins Schlafzimmer bewegten, änderte sich das nicht.
„Ich bin gleich da, muss mir nur noch kurz die Hände waschen.“ rief Amanda und trippelte ins Bad.
„Ist doch eigentlich Blödsinn. Nicht du wäschst deine Hände – deine Hände waschen sich gegenseitig und du schaust ihnen dabei zu, wie so 'ne kranke Stalkerin.“ erwiderte ich und erntete einen belustigten Blick aus dem Badezimmerspiegel.
Amanda kam aus dem Bad und flüsterte mir im Vorbeigehen etwas ins Ohr, was eindeutig das Wort 'feucht' beinhaltete.
„Feucht?“ fragte ich und zog eine Augenbraue hoch.
„Jaa...“ sagte Amanda und zwinkerte mir zu.
„Hättest dir ein Handtuch mitnehmen sollen.“ gab ich zu bedenken.
„Ich will ein bisschen mehr als ein Handtuch.“ sagte sie und kam langsam wieder auf mich zu.
„Einen Bademantel?“
„Sigurður!“
„Was denn?“
„Na gut, dann eben so... Ich war ein sehr, sehr böses Mädchen.“ schloss sie verführerisch an und zog sich langsam das Top aus.
„Wie schade. Meine Mutter sagte immer, nur gute Mädchen kommen in den Himmel.“
„Ein Heiligenschein entsteht auch nur, wenn sich schmutzige Gedanken schnell im Kreis drehen.“ konterte Amanda und machte mit der nächsten Lage Kleidung weiter.
„In den Himmel bringt dich das nicht.“
„Gute Mädchen kommen in den Himmel, aber böse Mädchen kommen, wohin auch immer sie wollen.“ antwortete sie und machte sich am obersten Knopf meines Hemdes zu schaffen.
„Gut möglich –“ antwortete ich und drehte mich weg „– das ist besonders beim Putzen hilfreich.“
„Sigurður, was ist los?“ fauchte Amanda mich an.
„Das gleiche könnte ich dich fragen.“ gab ich trocken zurück.
„Wie bitte?“ fragte Amanda verwirrt nach
„Du weißt genau, was ich meine.“
„Weiß ich nicht!“
„Du kochst.“ stellte ich fest.
„Welch ein Verbrechen.“ schnaubte Amanda.
„Du kochst sonst nie.“ bohrte ich nach.
„Und das ist relevant, weil?“ fragte Amanda unsicher nach.
Ich atmete einmal tief durch und schloss die Augen. „Hör' zu, hab ruhig deine Geheimnisse, aber verkauf mich gefälligst nicht für dumm und wage es nicht, mich anzulügen!“ hob ich die Stimme und kam ihr bedrohlich nahe.
Amanda wich instinktiv zurück und verschlug die Arme vor dem Körper. „Sigurður, ich weiß nicht –“
„Du weißt es ganz genau!“ fiel ich ihr ins Wort, langsam wurde ich wütend.
„Nein, ich –“
„Ach ja?! Soll ich vielleicht das Fremdwörterbuch in deiner Handtasche fragen, was es so dazu sagt?“ funkelte ich zurück – und ich hatte sie.
„Woher weißt du von –“
„Wusste ich nicht. Bis jetzt.“ unterbrach ich sie und zog die Tasche mit dem Stock zu mir hin und sah hinein. Den Titel des dicken Buches konnte ich nicht lesen, sah aber deutlich die Rot-Gelb-Rote Flagge Spaniens im oberen Drittel des Covers pranken.
„Spanisch.“ stellte ich fest.
„Sigurður, es ist nicht, was du denkst. Ich –“
„Ist es nicht? Nun, ich denke, du hast ein höherrangiges Angebot und das liegt in einer eurer Spanischen Zweigstellen. Vermutlich Madrid oder Sevilla, möglicherweise Barcelona.“ antwortete ich und stieß die Tasche ein Stück weiter auf.
„Gut, dann ist es das, was du denkst.“ antwortete Amanda und sank zurück. „Sevilla.“ fügte sie leise an. Eisiges Schweigen hüllte den Moment ein, ehe ich weitersprach.
„Raus hier.“ antwortete ich kalt und ohne sie anzusehen.
„Wie bitte?!“ empörte sich Amanda.
„Raus hier!“ wiederholte ich lauter.
„Ach ja?! Und wieso bitte?“
„Weil du dich für einen Job beworben hast, der dich in ein Land führt, dass tausende Kilometer weg ist von hier, den Job scheinbar bekommen hast und es nicht für nötig gehalten hast, mir ein Wort zu sagen!“ redete ich mich in Rage.
„Und wenn du einen Job in Spanien oder Frankreich oder Italien bekommen hättest, wäre das etwas anderes?! Natürlich, weil für dich immer nur du zählst! Klar, mit dir als treibende Kraft wäre ein gemeinsamer Umzug oder eine Fernbeziehung kein Problem, aber wenn es von mir kommt –“
„Das reicht!“ fuhr ich dazwischen. „Auch mit dir als treibender Kraft wäre es kein Problem gewesen, wenn du die Sache von Beginn an mit mir besprochen und mich nicht vor vollendete Tatsachen gestellt hättest! Aber das konntest du nicht, weil du ein arrogantes, selbstverliebtes Miststück bist, das sich einen Dreck um andere schert und das nicht damit klarkommt, ihren Mitmenschen ab einem gewissen Punkt auf Augenhöhe begegnen zu müssen! Und dann kommst du auch noch an, stellst dich als moralisch überlegen hin und gibst mir einen Anlass einen Streit anzufangen, weil du selber nicht den Mumm hast, eine Konfrontation zu suchen – egal wie unvermeidlich sie ist! Wer weiß, vielleicht liegt es daran, dass dein Vater abgehauen ist als du noch klein warst oder daran, dass dein erster Freund dich mit seiner Ex betrogen hat, als du auf dem College warst, aber irgendetwas in dir scheint ein massives Problem damit zu haben, Konflikte zu lösen! Du bist eine illoyale Verräterin und du wirst niemals mehr sein!“
Ich atmete durch und sah hoch. Amanda saß auf dem Bett und sah mich an und ich wusste, was der Ausdruck in ihren Augen bedeutete. Eine tiefe, unendliche Trauer lag in ihrem Blick und sie begann fast zu zittern, während stumme Tränen über ihre Wangen liefen und langsam auf das Bett tropften.
„Sigurður, ich –“
„Weißt du was? Du hast mich in Hobro belogen, und hier hin München hattest du deine zweite Chance. Eine dritte bekommst du von mir nicht. Pack' deine Sachen und dann verschwinde. Wir beide – wir sind fertig.“ sagte ich ruhig.
„Sigurður, bitte –“
„Du hörst mir nicht zu. Ich sagte: Wir beide sind fertig.“ und betonte die letzten Worte nochmal.
Amanda wandte sich unter Tränen ab und griff nach ihrer Jacke – dass sie nichts darunter trug, schien sie nicht einmal mehr zu merken. Knapp eine Minute verstrich, während sie sich hastig anzog und schluchzend und zitternd ein paar Sachen in ihre Tasche stopfte.
„Gut. Und jetzt raus hier.“ sagte ich kalt und marschierte zur Tür, die ich ihr öffnete. Sie trat hindurch und drehte sich um – ich wandte mich ab und schob die Tür zu, doch Amanda hielt die Hand gegen die Tür und zwang mich, mich erneut zu ihr umzudrehen.
„Sigurður – Ich liebe dich.“ sagte sie und sah mir hilfesuchend in die Augen, wohl wissend, dass es das erste Mal war, dass einer von uns diese Worte aussprach.
„Raus hier.“ antwortete ich energisch und schob die Tür kraftvoll zu.
Ich hörte einen dumpfen Aufschlag und Amandas Schluchzen und war mir ziemlich sicher, dass sie im Türrahmen zusammengesackt war – doch mir war das herzlich egal. Ich drehte mich auf dem Absatz um und humpelte wieder in mein Zimmer, nicht ohne vor dem Schlafengehen noch eine Oxycodon einzuwerfen. Der Abend war zwar ganz und gar nicht so gelaufen wie geplant, aber immerhin hatte ich Klarheit, und das war ja auch etwas wert.
Quellen: Amanda, Sevilla
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