Da liegt er nun vor mir. Vom stolzen starken Mann der mein Vater war, war nichts mehr übrig. Seine Wangen waren eingefallen, seine Haut war blass und gelblich. Seine Augen waren geschlossen und er sah aus als ob er schlafen würde. Ich nahm einen Stuhl und setzte mich neben sein Bett. Ich nahm seine kalte Hand in meine und begann unwillkürlich mit meinem Daumen seinen Handrücken zu streicheln. Mir ging soviel im Kopf umher, doch konnte ich es nicht in Worte fassen. Meine Tränen brannten auf der Haut.
„Papa, ich weiß nicht ob du mich hören kannst aber ich will dass du weißt dass ich dich liebe. Du warst immer der beste Papa den ein Kind sich wünschen kann. Du warst immer für uns da und mein Rückhalt. Ich wusste dass ich mich immer auf dich verlassen kann. Deine Ratschläge, deine Weißheiten haben mir stets durchs Leben geholfen. Aber nun, ich kann dir nicht helfen. Papa es tut so weh, zu wissen dass du gehen wirst. Ein Leben ohne dich ist so unvorstellbar für mich. Der Arzt hat mir gesagt du wirst sterben und du hast Schmerzen. Er hat mir gesagt ich muss entscheiden wann die Maschinen ausgeschaltet werden, Papa ich kann das nicht. Ich kann das nicht entscheiden. Gib mir ein Zeichen. Drück meine Hand oder was auch immer, Papa, aber hilf mir die richtige Entscheidung zu treffen.“
Ich schloss meine Augen und konzentrierte mich auf seine Hand in meiner......doch es tat sich gar nichts. Dieses leere Gefühl, es überkam mich wieder. Plötzlich hatte ich Gewissheit und wusste was zu tun war. Ich küsste meinen Vater auf die Stirn, wie ich es immer tat, und flüsterte ihm ins Ohr: „Papa, vergib mir, aber ich weiß du hättest es so gewollt. Ich liebe dich und pass auf uns auf von da oben.“
Traurig aber mit dem Gefühl die richtige Entscheidung getroffen zu haben verließ ich das Krankenhaus. Doktor Sánchez hat mir zugesagt noch einen Tag zu warten, damit meine Schwester sich noch verabschieden kann.
Ich ging ein Stück und setzte mich in einem Park unter einen Baum, zog mein Handy aus dem Hosensack und wählte die Nummer von Salina. Angst stieg in mir empor.
„Miguél, che passa?“
“Salina, wo bist du? Ich muss dringend mit dir reden.”
„Ich bin gerade aus der Schule raus.“
„Gut bleib dort. Ich komme dich holen. Bis gleich.“
„Okay.“
Arme Salina, sie wusste nicht was sie erwartet. Ich nahm mir ein Taxi und fuhr zur Schule. Während der Fahrt gingen mir hunderte Szenarien durch den Kopf. Wird sie weinen oder nicht? Bricht sie zusammen? Was ist wenn ich sie ins Krankenhaus bringen muss? Was wenn sie mich hasst? Was wenn sie nie mehr mit mir reden wird? Die Fahrt schien unendlich zu dauern. Doch dann fuhren wir direkt vor die Schule.
Wie sie da stand. Wunderschön und so unschuldig. Ein kleines Mädchen, voller Träume und ich muss ihr sagen dass ihr Vater morgen sterben wird. Ich steige aus und umarme sie. Sie ist so zart und zerbrechlich.
„Miguél, lass mich los. Meine Freundinnen können uns sehen. Du bist mein Bruder!“
Ich schau ihr in die Augen und sie sieht meine Tränen.
“Miguél, was ist los. Warum weinst du?“
„Salina, lass uns ein Stück gehen.“
Wir gingen von der Schule runter zum Bach. Dort waren wir mit unserem Vater öfters zum Fischen gewesen. Unten angekommen starrte ich ins Wasser und Salina sah mich an.
„Es geht um Papa, nicht wahr?“ Ihre Worte trafen mich direkt ins Herz. „Salina, er wird sterben. Die Ärzte haben mir gesagt, er hat keine Chance mehr und er leidet. Er leidet furchtbar.“ Ich kann sie dabei nicht ansehen. Sekunden verstreichen, sie reagiert nicht. Plötzlich spüre ich wie sie meine Hand nimmt. “Miguél, wir schaffen das.“ Meine kleine Schwester nahm mich in den Arm und tröstete mich. Sie war so unglaublich stark. Unglaublich, ich war der Schwache von uns zwei. Ich brach in Tränen aus und schluchzte während sie mich im Arm hielt. Wir setzten uns auf den Rasen und ich erzählte ihr alles. Das Gespräch mit dem Doktor und mein Besuch bei Papa. Sie hörte mir genau zu und blickte mich dabei unentwegt an.
„Miguél, du hast richtig entschieden. Wir können ihn nicht leiden lassen. Das hätte er nie gewollt.“ Ich blicke ihr in die Augen. Sie ist plötzlich so erwachsen geworden. Es kommt mir wie gestern vor als ich ihr das Fahrrad fahren beigebracht hatte. Und jetzt sitzt sie neben mir und ist so stark. Mir fällt auf das ich sie Jahrelang unterschätzt hatte.
„Bitte Miguél, bring mich zu ihm. Ich möchte mich verabschieden.“ Ich nicke nur und stehe auf.
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