Es war ein später Sonntagmorgen in Hobro und ich machte mich gerade auf den Weg zu meinem Haus. Ich kam von den Nachbarn, wo ich – wie ihr euch vielleicht erinnert – einmal alle zwei Wochen am Sonntagmorgen-Brunch teilnehmen „durfte“. Zwar war Niels' Frau in letzter Zeit eigentlich garnicht gut auf mich zu sprechen und so überraschte mich die Einladung sehr, aber in Ermangelung einer Absagemöglichkeit hatte ich mich dennoch zu ihnen geschleppt. Dort wurde mir beim Essen auch die Begnadigung erklärt – Nele bedankte sich für die Entschuldigungskarte und die Blumen und meinte, dass sie es irgendwo auch kindisch fände, noch weiter deswegen rumzuzicken – und ehe mein Alltags-Pokerface einem verwunderten Blick weichen konnte, machte mir Niels mit einem Blick bewusst, dass er das arrangiert hatte. Warum, wusste ich nicht genau, aber so wirklich interessierte es mich dann auch nicht wieder und ich nickte nur stumm und ließ auch den restlichen Vormittag über mich ergehen, ehe ich dann gegen 12:00 entlassen wurde. Ich humpelte gerade in Richtung meiner Haustür, als ich aus dem Augenwinkel etwas bemerkte und mich umdrehte – an die Mauer zum Nachbargrundstück gelehnt stand eine Frau, die mir nur zu bekannt vorkam – Es war Amanda, auch wenn ich sie mit Hose und Bluse an fast nicht erkannt hätte.
„Wow, sie sind hübsch.“ sagte sie und kam lächelnd näher.
„Wow, sie sind Stalkerin.“ gab ich trocken zurück.
„Nein, ich –“
„Natürlich nicht. Sie joggen hier jeden Tag.“ gab ich angenervt zurück und wandte mich ab.
„Sehr witzig.“
„Fand ich auch.“ sagte ich und kramte nach meinem Schlüssel. „Was wollen sie hier? Ich habe ihnen eine Falsche Nummer und E-Mail Addresse hinterlassen und –“
„Die Nummer war falsch?“ gab Amanda betont überrascht zurück.
„Sie haben wirklich nie angerufen? Irgendwie schwer zu glauben, da sie ja in meiner Einfahrt stehen.“
„Ich kenne Nele, erinnern sie sich? Wenn ich ihre Nummer will, sind sie der letzte, den ich fragen würde. Sehen sie?“ fragte sie und holte ihr Handy raus. Sie tippte darauf herum und ich spürte, wie sich der Vibrationsalarm meines Handys einschaltete.
„Ich werde da jetzt nicht rangehen.“
„Ich weiß. Deswegen bin ich ja persönlich hier.“
„Gut, sie haben mich.“ sagte ich und drehte mich wieder zu ihr zurück – sie war mittlerweile fast auf halbem Weg zu meiner Tür. „Warum genau sind sie hier?“
„Sie sagten doch ich solle mich melden, wenn ich wieder Mal das Verlangen nach etwas Isländischem habe.“
„Ernsthaft? Sie fahren 20 Minuten Auto, weil sie geil sind und zu faul zum Masturbieren?“ gab ich betont gleichgültig zurück.
„Vielleicht brauchte ich mal einen Mann?“ sagte sie und zwinkerte mir zu.
„Vielleicht brauchen sie einfach eine schnellere Internetverbindung.“ gab ich zurück und drehte mich wieder zur Tür, den Schlüssel in der Hand. „Sie langweilen mich.“
„Ach kommen sie schon, lassen sie mich rein. Ich habe die Handschellen noch...“
Ich seufzte. Eigentlich sprach nichts dagegen, mal wieder ein bisschen Spaß zu haben. Das letzte Mal war immerhin – ach, das geht euch eigentlich nichts an. Ich drehte mich zu Amanda um und sie wusste, dass sie mich „überzeugt“ hatte. Sie konnte sich ein Kichern nicht verkneifen und nahm die letzten paar Meter bis zur Tür im Laufschritt. Ich ließ sie vor und konnte mir ein Grinsen ebenfalls nicht verkneifen, ehe die Tür ins Schloss fiel.
„Ich sagte doch, dass das eine gute Idee war.“ sagte Amanda. Sie stand – nur mit einer Bluse bekleidet – in meiner Schlafzimmertür und hatte das einzige Lebensmittel mitgebracht, was sie im Haus gefunden hatte – einen Glasflacon Scotch und zwei Gläser. Ich rieb mir die Handgelenke, setzte mich aufrecht hin und hielt ihr die Hand entgegen – und zu meiner Freude sah sie das nicht als Einladung zum Kuscheln, sondern als Aufforderung, mir ein Glas einzuschenken.
„Warum machen wir das nicht öfter?“ fragte sie mich und bei mir meldeten sich die Alarmglocken.
„Weil es immer auf die gleiche Weise endet.“
„Und warum machen wir es jetzt?“
„Sie haben mir leidgetan.“ sagte ich kalt.
„Oh nein, das war nicht der Grund, glauben sie mir. Ich erkenne eine Mitleidsnummer, wenn ich sie habe und das, das war keine.“
„Und was war es dann, Frau Psychologin?“ fragte ich und nippte an dem Glas. Der Scotch war gut – kein Wunder, es war ja auch meiner.
„Keine Ahnung. Dafür fehlen mir die Vergleichsproben.“
Ich schüttelte amüsiert den Kopf, während Amanda auch einen Schluck nahm.
„Das Zeug ist gut. McCallen?“ fragte sie und ich nickte.
„Aber jetzt mal Klartext. Sie hatten sie ihren Spaß und sie trinken mir den Sprit weg, also sagen sie mir endlich, warum genau sie hier sind.“
„Wirklich? Du siezt mich nach alldem immer noch?“
„Lenk nicht ab. Also gut, warum bist du hier?“ hakte ich genervt nach.
„Ganz direkt – ich mag sie.“
„Ach ja? Ich sie nicht.“ antwortete ich trocken. „Aber ich steh auf diesen Hintern.“
„Wer lenkt denn jetzt hier ab?“
„Niemand. War nur 'ne Feststellung.“
„Gut, dann stelle ich jetzt auch nur etwas fest. Erstens, ich habe gleich einen Yoga-Kurs und werde gleich fahren. Und zweitens, du gehst heute Abend mit mir essen. Ich hole dich dann so gegen acht ab und nein, absagen verboten.“ sagte sie und ohne einen Widerspruch zuzulassen nahm sie ihre Sachen vom Boden und tänzelte zurück in den Flur, um sich anzuziehen. Als ich ein paar Minuten später auch aufstand, hauptsächlich um zu duschen, fehlte von Amanda bereits jegliche Spur.
Ich verbrachte den restlichen Sonntag alleine in meinem Wohnzimmer und gönnte mir einen kleinen privaten „Party-Abend“ zwischen Oxycodon und Scotch, während ich auf Amanda wartete. Ich hatte zwar sogar kurz überlegt, mich zu rasieren, aber das war es mir dann doch nicht wert gewesen. Als dann aber schon um 19:00 jemand an der Tür klingelte, wurde mir klar, dass ich einen anderen Termin vergessen hatte – Niels wollte auf einen Scotch vorbeikommen, da seine Schwiegereltern heute kamen und er sich für eine Stunde aus der Schusslinie begeben wollte. Ich humpelte zur Tür und machte auf, und Niels sprang förmlich hinein und schlug noch im gehen die Tür zu. Ich folgte ihm ins Wohnzimmer, wo er auf und ab tigerte, und stellte mich mit fragendem Blick in den Türrahmen.
„Ach, vergiss es einfach.“ sagte er und setzte sich. Ich nickte nur stumm und ging auf den freien zweiten Stuhl zu, während Niels seinen Blick durch mein Wohnzimmer schweifen ließ. Er war erst einmal hier gewesen, zum Fußball gucken. An der Inneneinrichtung hatte ich nichts verändert, doch seine Augen blieben an etwas anderem Hängen – über der Küchenzeile hatte ich zwei Krawatten rausgesucht und hingelegt.
„Was hast du denn mir den Krawatten vor?“ fragte mich Niels verduzt
„Ich habe ein Date heute Abend.“ sagte ich und langte nach der Flasche mit dem Scotch.
„Was?“ fragte Niels und sah mich ungläubig an.
„Was denn?“
„Das du zu viel Oxy schluckst weiß ich, aber dass du deine Treffen mit Nutten als 'Dates' bezeichnest, das ist schon 'ne Hausnummer.“
Ich nickte – den Seitenhieb hatte ich wohl in den letzten Monaten nahezu erzwungen. „Nein, mit Amanda. Amanda Zaine, die vom Grillabend.“
„Ähm, also –“
„Also, welche Krawatte – Party oder Party-Tiger?“ fragte ich und hielt die beiden hoch. Niels sah mich an und schien wirklich zu überlegen, ob ich gerade den Verstand verlor.
„Amanda?“ fragte er schließlich ungläubig.
„Ich denke, Party-Tiger.“ sagte ich und hielt mir die dunkelrote Krawatte probehalber an den Hals.
„Amanda?!“ wiederholte er ungläubig und fügte hinzu „Nein, definitiv 'Party'.“
„Wirklich?“ fragte ich und hielt die entsprechende Navyblaue Krawatte hoch. „Und ja, was ist daran so schwer zu glauben?“
„Sie hat 'nen Dachschaden!“
„Na und? In der Kiste ist sie –“
„Das will ich garnicht wissen.“
„Dann eben nicht. Hast du sonst noch irgendwelche Probleme mit meiner Partnerwahl, die mich interessieren könnten?“
„Naja, sie arbeitet unheimlich viel und –“
„Ich glaube nicht, dass mich das interessiert.“
„– und dadurch hat das mit euch beiden auch keine langfristige Zukunft, weil euch beiden eure Arbeit wichtiger ist als alles andere!“
„Siehst du, ich wusste, dass es mich nicht interessiert.“
Niels schüttelte resigniert den Kopf, schien aber nicht aufgeben zu wollen. „Und außerdem hat –“
„Tut mir leid, aber leider ist das Zeitlimit, dass ich mir für eine solche Konversation genommen habe, gerade abgelaufen.“ sagte ich und ging mit der fertig gebundenen Krawatte – zum doppelten Windsor, wie es sich gehört – in Richtung meines Schlafzimmers, um mir einen passenden Anzug zu suchen.
„Du kannst mich doch nicht einfach so im Satz stehen lassen!“
„Das dachte ich ja auch erst, aber die Gegenwart straft uns Lügen.“ sagte ich im Gehen.
„Du wirst mich nicht so schnell nicht los, die Frau ist gefährlich.“
„Oh ja, ich habe immernoch aufgescheuerte Handgelenke und mein Rücken sieht aus wie ein Gemälde von Pollock.“
„Ich wiederhole mich – das will ich nicht wissen!“
„Dann hör auf darüber zu reden.“ sagte ich. Mittlerweile hatte ich einen passenden Anzug gefunden und hatte mich fertig gemacht.
„Weißt du was, dann mach doch was du meinst. Aber das mit euch hat keine Zukunft, glaub mir.“
„Also abgesehen davon, dass ich selber keine langfristige Sache will, hat sie das doch.“
„Ach ja, hat sie das?“
„Ja. Sie hat meinen Scotch erkannt und wir gehen in ein Steakhouse essen, dass sie ausgesucht hat. Wenn sie ihr Steak nicht Well Done oder mit Ketchup bestellt, kann sie so übel nicht sein. Aber wie ich sagte: Es ist doch auch egal, weil das nichts ernstes werden soll.“
„Deine pessimistische Lebensanschauung nervt einen auf Dauer gewaltig.“
„Ach komm', sei doch realistisch. Dieses ganze Mann-Frau-Drama funktioniert einfach nicht auf Dauer, kann es garnicht. Da kommt irgendwann die Realität dazwischen.“
Niels verdrehte entnervt die Augen. „Und warum machst du das mit dem Date dann? Und dem rausputzen?“
„Keine Ahnung... Auf Dauer funktioniert es nicht, aber auf kurze Zeit gesehen ist es nicht übel.“ Ich ließ den fragend guckenden Niels im Wohnzimmer zurück und sah auf die Uhr – noch einige Minuten, ehe Amanda mich abholen wollte.
„Warte sagtest du ein Steakhouse? Ich dachte, sie wäre Vegetarierin?“
„Naja, entweder ist sie 'ne schlechte Lügnerin oder eine schlechte Vegetarierin, keine Ahnung. Und auch nicht mein Problem.“
„Oder naja, sie verarscht dich und ihr geht vegetarisch essen?“ fragte Niels nach.
Ich wollte gerade Antworten, doch ein Hupen unterbrach mich – anscheinend kam mein Abholdienst etwas zu früh. „Naja, tut mir Leid, ich muss jetzt los – mein Wagen wartet auf mich.“
„Dein Wagen?“
„Ja, ich werde abgeholt.“ sagte ich und grinste selbstzufrieden.
„Amanda holt dich ab?“ fragte Niels ungläubig nach.
„Jap. Also, bis irgendwann!“ sagte ich und humpelte zur Tür, einen verduzt guckenden Niels mit einem Glas Scotch in der Hand zurücklassend.
Amandas Wagen erkannte ich beim Herausgehen sofort: Auf dem Bürgersteig vor meinem Haus stand eines der besten Autos, die ich in meinem Leben je live gesehen hatte: Ein Ford Mustang GT, mit Sicherheit schweineteuer und dem Anschein nach frisch gewaschen – ich war scheinbar nicht der einzige, der sich schick gemacht hatte. Ich humpelte ohne Umschweife zur Beifahrertür und ließ mich dort auf den Sitz fallen.
„Guten Abend.“ sagte ich und sah Amanda an – ich war wirklich nicht der einzige, der sich schick gemacht hatte. Sie trug ein verdammt teuer aussehendes Kleid, hatte ihre Haare irgendwie kunstvoll geflochten und einiges an teurem Make-Up aufgelegt.
„Guten Abend.“ antwortete sie und musterte mich ebenfalls.
„Geile Karre.“ sagte ich schließlich, womit ich aussprach, worauf sie gewartet zu haben schien.
„Danke. War auch nicht günstig.“ sagte sie und ein selbstsicheres Lächeln stahl sich auf ihr Gesicht. Die nächsten paar Sekunden herrschte dann Stille, eine fast schon bedrückende und zugleich beruhigende Ewigkeit der Schweigsamkeit strich dahin.
„Sag mal, gehen wir wirklich in ein Steakhouse?“ beendete ich die Stille.
„Klar, wieso nicht?“
„Naja, du sagtest doch beim Grillen damals, du wärst Vegetarierin, nicht wahr?“
„Keine Sorge, das war ich nie. Ich wollte nur gucken, wie schnell sie mich durchschauen.“ sagte sie und sah mich provozierend an.
„Wirklich? Falls du es dir überlegst, zwei Straßen weiter hat ein tolles vegetarisches Restaurant aufgemacht – warte nein, es ist ein Blumenladen.“
„Wie gesagt, keine Sorge.“ sagte Amanda bestimmt und wieder kehrte Stille ein.
„Also, fahren wir?“ fragte ich und lehnte mich in den Ledersitz zurück. Amanda nickte nur stumm und ließ den Motor aufheulen.
Das Restaurant, dass Amanda ausgesucht hatte, war wirklich ideal. Es war ein Steakhouse im typischen Western-Stil und wir waren beide heillos overdressed, aber immerhin gehörten uns die Blicke aller anderen hier. Ich sah mich um und musste feststellen, dass meine Klamotten wohl teurer waren als die aller anderen hier drin. Mein Blick schweifte zu Amanda, die mich mit fragendem Blick ansah.
„Nettes Ambiente.“ sagte ich beiläufig und sah mich auf der Suche nach einem Kellner um.
„Danke. Vor allen Dingen schmeckt es verdammt gut.“ sagte Amanda zufrieden.
„Na dann. Sag mal, gibt es hier denn auch Kellner oder so?“
„Eigentlich schon.“ antwortete Amanda und folgte meinem suchenden Blick. „Hey sie, zweimal die Karte, bitte!“ rief sie zu einem Mann, der zwei Tische weiter stand. Der drehte sich mit halb fragendem, halb verstörtem Blick zu uns um.
„Ich glaube, der arbeitet garnicht hier.“ sagte ich amüsiert.
„Ist das ein Problem für sie?“ fragte Amanda zu dem mittelalten Mann mit Halbglatze, der tatsächlich an unseren Tisch gekommen war.
„A-absolut nicht.“ sagte dieser, noch immer etwas zerstreut, und machte sich auf die Suche nach den Karten. Ich sah Amanda an und auch sie konnte sich ein lachen wohl nur mit Mühe verkneifen.
Der Rest des Abends lief ebenso gut. Wir bestellten beide bei einem Kellner, der sich nach knapp zwanzig minuten auch mal zu unserem Tisch bequemte, beide ein großes Steak mit 'Beilagen des Hauses', was sich als Kartoffelecken und ein gemischter Salat entpuppte. Zu meinem Wohlgefallen bestellte auch Amanda ihr Steak Medium Rare und als uns der Kellner beim servieren fragte, ob einer von uns Ketchup dazu wolle, hatte sie nur ein überhebliches und abfälliges Lachen für ihn übrig. Wir verbrachten fast zwei Stunden in dem Restaurant, weil Amanda mich nach dem wirklich fantastischen Steak noch vom Whiskeyangebot des Hauses überzeugen konnte – und auch der war nicht übel. So war ich erst um kurz vor elf wieder bei mir zuhause, obwohl Amanda auch auf der Rückfahrt eindrucksvoll zeigte, was ihr Wagen so auf dem Kasten hatte.
„Also, vielen Dank. Wir sehen uns sicher irgendwann mal wieder.“ sagte ich und wandte mich zum Gehen.
„Ach, sie wollen einfach so gehen?“ fragte Amanda und hielt mich fest. „Ich dachte, wir haben noch ein bisschen Spaß?“
Quellen: Amanda, Krawatte, Mustang |