Ich durfte wirklich nach Hause gehen. Der Arzt hat mir gesagt ich müsste mich noch schonen und dürfte auf keinen Fall Sport betreiben, aber im Normalfall müsste ich in zehn bis zwölf Wochen wieder der Alte sein. Da habe ich wirklich Glück gehabt. Was man von Sean nicht behaupten kann.
Er war inzwischen von der Intensivstation auf eine Frührehabilitation verlegt worden. Er machte ganz gute Fortschritte, konnte inzwischen sogar seinenOberkörper wieder aufrecht halten.
Zweimal durften wir Sean schon für kurze Zeit mit in den Garten des Krankenhauses nehmen. Dort lebte er auf. Er war immer gerne in der Natur und es tat ihm sehr gut mal was anderes als die Zimmerwände zu sehen. Die einzige Tatsache die uns alle bedrückte war dass er seine Beine noch immer nicht spürte. Die Ärzte hatten uns mitgeteilt dass es sein könnte, dass dieser Zustand für immer so bleibt. Mein Bruder sprach nicht gerne darüber, aber man merkte dass es ihm zuschaffen machte.
Zwei Wochen nach dem Unfall war einer der traurigsten Tage in meinem Leben. Wir mussten meinen Vater zu Grabe tragen. Sean durfte das Krankenhausgelände erstmalig verlassen und wurde von meiner Mutter im Rollstuhl geschoben. Die Ärztin die ihn begleitete war immer in seiner Nähe, doch auf Unauffälligkeit bedacht. Er war so tapfer und gab sich redlich mühe nicht in Tränen auszubrechen, was ihm aber schlussendlich nicht gelang. Als der Leichenwagen mit dem Sarg unseres Vaters zur Kirche kam gab es für ihn kein Halten mehr. Ich wollte unbedingt helfen den Sarg in die Kirche zu tragen, doch meine Verletzungen ließen dies nicht zu. Während der Zeremonie vergoss ich keine Träne. So sehr ich mir auch wünschte endlich weinen zu können, es geschah nichts. Doch als wir anschließend den Sarg in dir Grube ließen konnte ich nicht mehr. Plötzlich überkam es mich. Tränen rannten mir übers Gesicht wie aus einem Rinnsal. Mein Herz brennte und ich spürte den gesamten Verlust plötzlich über mir einbrechen. Die Schuldgefühle und die Trauer vermischten sich zu einem schmerzenden Gefühl dass mir bis dorthin gänzlich unbekannt war. Mein Onkel und mein Cousin stützen mich und setzten mich dann auf einen Sessel.
Von dort aus verfolgte ich die letzten Minuten der Trauerfeier. Mein Vater war nun begraben und nichts auf der Welt konnte ihn wieder zurück holen und in mir keimte der Gedanke auf das ich alleine daran Schuld sei. Dann schweiften meine Blicke durch die anwesenden Gäste und blieben bei Sean stehen, der an den Rollstuhl gefesselt war. Wieder kam die Schuld in mir zum Vorschein und schnürte meinen Brustkorb zu. Ich konnte fast nicht mehr atmen. Da kamplötzlich Kirsty zu mir. Als sie erkannte dass es mir nicht gut geht nahm sie mich in den Arm und tröstete mich. Ihre Wärme gab mir ein Gefühl der Geborgenheit, welches ich jetzt unbedingt benötigte.
Nach der Beerdigung fuhr die Trauergemeinde noch zu einem gemeinsamen Mahl, doch ich bat meine Mutter darum nicht daran teilnehmen zu müssen. Sie verstand mich und sagte sie würde das schon regeln.
Ich begleitete Sean noch zurück ins Krankenhaus und verabschiedete mich dort von ihm. Anschließend begab ich mich auf den Heimweg.
Zu Hause angekommen machte ich mir was zu essen und setzte mich vor den Fernseher. Als ich ihn einschaltete sah ich ein Spiel von Inverness gegen Hibernian. Da erinnerte ich mich das erste Mal wieder an die Tatsache dass ich ja eigentlich noch was zu tun habe. Ich muss den Traum meines Vaters leben und härter als alle Anderen trainieren. Ich will Profi werden und meinen Dad stolz machen. So ging ich hinauf in mein Zimmer und suchte die Nummer von Ryan Esson heraus. Mit dem Handy in der Hand und zitternden Fingern tippte ich die Zahlen ein. Irgendetwas in mir zögerte aber ich wusste es ist der richtige Weg. Fast unbewusst drückte ich auf die „Wählen“ Taste und am anderen Ende der Leitung hörte ich das Freizeichen…….
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