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'Er atmet, John, gib mir mal die Taschenlampe!'
Ganz leicht spürte ich, wie an mir gedrückt, geklatscht und gezupft wurde und mich plötzlich ein grelles Licht in den Augen blendete. Ich blinzelte mit den Augen, was ich besser hätte sein lassen, denn mit einem stechenden Schmerz im Kopf und einem bleibenden Gehörschaden durch die Geräusche rundherum, die ich wohl fünf Mal so laut wahrnahm, als sie waren, war ich wohl wieder wach. Ich versuchte für eine Sekunde die letzten Bilder davor wieder zu bekommen, aber außer schwarz war da nichts. Ich versuchte mich zu orientieren, wo ich war und was passiert war, aber alles was ich rausbracht, was eine Mischung aus einem 'Wull' und 'Lööö' bevor ich mich übergab.
'John, Tuch, schnell, legt ihn auf die Seite, nicht dass er uns an seiner eigenen Kotze erstickt!'
Ich versuchte erneut, mich zu orientieren, wo ich war, doch war der Versuch nur von kurzer Dauer, bis ich erneut das Bewusstsein verlor. Im Nebel vernahm ich nur noch, dass immer wieder der Name John gerufen wurde und eine Frauenstimme aller Art Gegenstände verlangte.
Nach einer mir unbekannten Zeitspanne kam ich wieder zu Bewusstsein, blinzelte kurz auf und wollte mich erneut melden, bekam jedoch erneut nicht mehr als ein 'Wull' und 'Lööö' gefolgt von erneutem Übergeben heraus. Schneller wie ein Gepard war ein junger Mann, der Will Smith erschreckend ähnlich sah, aufgesprungen und hielt mir eine Art Schüssel neben den Mund, in der mein Erbrochenes aufgefangen wurde.
'Die tun aber wirklich alles, um später nicht aufwaschen zu müssen!' dachte ich mir, doch da ich immer noch keine Ahnung hatte, wo ich war, versuchte ich es ein weiteres mal, deutete aber dem Will Smith Doppelgänger, dass ich ein Blatt Papier und Stift haben wollte, der Versuch zu sprechen, schien mir ein zu großes Risiko.
Ich kritzelte etwas auf den Block und wollte ihm den Block gerade zeigen, als er mir aus der Hand glitt, die Schüssel mit dem Erbrochenen mitriss und mit einem metallischem Klirren auf dem Boden aufschlug. Schnell hob der Doppelgänger von Will Smith den Block auf, der nicht allzu viel abbekommen hatte und betrachtete meine Worte. Mit ratlosem Blick musterte er mich, hielt mir den Block vor die Augen, doch alles was ich sehen konnte, waren ein weißes Blatt und schwarze Umrisse, die sich immer wieder bewegten und heftig rotierten. Da das mit dem Schreiben auch nicht funktionierte, versuchte ich es erneut mit Sprechen, lallte leise: 'Wull bbbüüünn eeicc...' und übergab mich ein weiteres Mal.
Nun schien es auch dem Will Smith Doppelgänger zu viel zu sein, er stellte sich mir als Steven vor, meinte zwar zuerst scherzhaft, dass ich der Sprache nach zu urteilen entweder Franzose war, oder der Schrift nach zu urteilen Araber oder Chinese, oder eine Mischung von beidem, doch als er sah, dass mir nicht nach Scherzen zumute war, schilderte er mir, dass ich total betrunken und bewusstlos aufgesammelt wurde, in eine Notaufnahmestelle in Manchester gebracht wurde und man mich nach der ersten Diagnose in die Entzugsklinik nebenan überstellt hatte, wo ich nun vermutlich auch war. Ich lauschte den Worten von Steven, auch wenn ich nur 10% davon mitbekam, was er sagte, immerhin wusste ich aber nun zumindest, dass ich nach wie vor lebte und nicht im Himmel von Will Smith heimgesucht wurde. Kurze Zeit später wurde Steven, der mit gut zuredete und über sein Leben monologisierte abrupt unterbrochen und mein Bett wurde unsanft entsperrt und weggeschoben. Zwei kräftige Typen packten mich und zogen mir meine angekotzten Sachen aus und steckten mich in Windeln und einen hässlichen weißen Anzug. Dann wurde ich erneut auf die Seite gelegt und mit mehreren Gurten an das Bett geschnallt, da war mir die Situation mit Aufpasser Steven doch deutlich lieber. Ich wollte schreien und mich beschweren, aber ich schaffte es nicht, auf mich aufmerksam zu machen.
Wieder eine unbekannte Zeit später war ich wieder wach und öffnete erneut die Augen. Ich spürte, wie ich gepackt wurde, man mir eine kleine Flasche kaltes Wasser ins Gesicht spritzte und immer wieder auf die Wange oder Schulter klopfte.
'Hallo, hören sie mich, sind sie wach?' sprach mich eine weibliche Stimme an.
Ich hatte die Augen offen und blickte mit bösem Blick durch den Raum, die Antwort auf diese Frage erübrigte sich meiner Meinung nach, dennoch nickte ich kurz, nachdem ich erneut abgeklopft wurde und dieselbe Frage erneut gestellt bekam.
'Sehr schön, wir schnallen sie jetzt ab, weil wir das Bett brauchen, sie kommen zur Ausnüchterung in einen Raum mit Gummiwänden, sollte etwas sein, wird John', sie deutete auf einen schmächtigen rothaarigen jungen Mann neben ihr, 'sofort zur Hilfe da sein, haben sie mich verstanden!'
Ich nickte erneut, bevor ich von den zwei Männer gepackt wurde und auf den Boden gesetzt wurde, was jedoch nicht so klappte, wie sie wollten, denn ich kippte sofort um. Sie drehten mich erneut, damit ich nicht auf dem Rücken lag und legten mir einen dicken Polster hinter den Rücken, der verhindern sollte, dass ich zurück kippte. Ich blickte mich, nachdem die Türe geschlossen wurde, kurz um und sah neben mir einen weiteren Mann halb sitzend, halb liegend auf dem Boden.
'aaa..aa.aalllllooooo!' grölte ich, während ich meinen Zimmergenossen immer wieder mit dem Zeigefinger anstubste.
Um mich herum drehte sich alles, die Türschnallen sprachen mit mir und selbst wenn ich wollte, aufstehen war einfach nicht möglich, sofort zog mich die Schwerkraft, die ich in diesem Moment als stärkeren Gegner als Griezmann empfand, in Richtung Boden.
'aaaa.aaaa..aallllllooooooo, hilf mir doch auf, ich bin ein Star! Ich spiele bei Manchester United.'
Was an diesen Worten aufgrund meiner derzeitigen Situation so perplex war, als dass ich mit rund 3 Promille in einem Raum, der einer Gummizelle glich zur Ausnüchterung lag und Windeln anhatte, brachte mich erneut zum Lachen.
Mein Zimmergenosse, der in etwa demselben Zustand war, vermutlich eine Überdosis erwischt hatte, sprach mich an und lallte: 'Du bist lustig, du bist so rund und deine Augen sind sooooooooo kleeeeiiin. Ich spiele auch bei Manchester United!'
Ich sah ihn an, konnte zwar keine konkreten Umrisse erkennen, lachte aber los und sagte laut 'Bastiaaaaaaaannnnn?!' zu ihm. Er lachte auch, obwohl er, wie ich später erfuhr Scott hieß und mit Fußball kaum etwas zu tun hatte. Ich versuchte so zu tun, als würde ich auf einen Eckball warten, wollte gerade auf meinen Knien aufspringen, doch ich landete lediglich auf meiner Nase. Mein Zimmergenosse jubelte und wir kugelten uns vor lachen.
Die folgende Nacht war die schlimmste in meinem Leben. Ich musste mich alle 5 Minuten übergeben, hatte zudem starke Kopfschmerzen und den schlimmsten Traum meines Lebens. Ich sah mich selbst in 5 Jahren, ich hatte stark zugenommen und bejubelte mit meinem Personal-Trainer Adebayo Akinfenwa den Schwergewichtstitel nach einem Punktesieg über Tim Wiese. Solange ich denken konnte, war der Fußball ein Teil meines Lebens, die Zeit in Manchester hatte aber tiefen Schaden hinterlassen. Auch wenn ich ihm nichts vorwerfen konnte und einsehen musste, dass er einfach der komplettere Fußballer war, ließ es mich nicht davon abbringen, Griezmann's Gesicht von meiner Dartscheibe zu nehmen. Dass ich hier noch immer festsaß war nach den Vorfällen von gestern einfach peinlich, die Betreuer lachten hinter meinem Rücken über mich und behandelten mich wie ein Kleinkind, das nicht wusste, was es wollte. Ich meine, was ist an den Worten 'her mit dem Wodka' so schwer zu verstehen? Ich war nie richtig vorbereitet worden auf ein Leben im Schatten des Fußballs, die ständige Enttäuschung, nicht spielen zu können nagte sich tief in meine Seele und knabberte an meinem Selbstvertrauen, wie die Ratte in meinem Raum, die ich mit einem herzhaften Tritt wegkickte. Es war schrecklich hier, abends, wenn das Licht ausging hörte man das Schluchzen der sensiblen Personen, das Schreien der Aufgebrachten, zu denen ich mich auch zählte, auch wenn ich schweigend litt und meine Wut versuchte, bestmöglich zu unterdrücken und dann gab es noch eine kleine Kategorie von chronisch Verrückten, die immer und immer wieder dieselben Silben brabbelten, meist ergaben sie so viel Sinn, wie wenn man den Text eines Jodlers in Google-Translate auf rumänisch übersetzen lässt.
Mein Blick wanderten durch das, nennen wir es Zimmer, ein Wort dafür zu finden würde mir noch den letzten Nerv kosten, glitt von den kahlen und weißgrauen Wänden über ein Bett, was diese Bezeichnung nicht verdient hätte zu meinem Kasten, wo ich meine Besitztümer drinnen hatte. Die rechte Tür hing nur noch an einem Schanier lose zur Seite hinab und auch wenn sie uns kein Messer oder anderen spitzen Gegenstand tragen ließen, weil man sich damit ja umbringen könnte, schwand der Gedanke, dass ich womöglich davor stehen würde, wenn die lose Befestigung der Türe nachgab von Stunde zu Stunde. Ich stellte mich auf die Zehenspitzen und griff in das oberste Fach, ertastete mein Portemonnaie und setzte mich damit auf die Bettkante. Unter dem folgenden Geräusch, dass sich anhörte wie wenn man einem Schnarchenden einen herzhaften Check mit dem Ellenbogen gibt, öffnete ich die ausklappbare linke Seite und holte ein Foto heraus. Es zeigte mich mit Ioana und den beiden Kleinen, ich lachte und war glücklich, ich wusste nicht genau, wann das Foto entstanden ist, aber es war zu meiner Zeit in Dortmund, als die Welt noch in Ordnung war und ich an Manchester nur denken musste, als ich gefragt wurde, was ich nach dem Sommer denn machen würde. Diese Frage wurde mir von Mal zu Mal und je näher es Richtung Sommer ging unangenehmer, schließlich war die Zeit in Dortmund die schönste meines Lebens. Mit traurigem Blick senkte ich meinen Kopf, mein Finger glitt über Ioana's Lächeln, dass ich momentan nicht, und im schlimmsten Fall sogar nie wieder sehen würde, ob sie mir das alles je verzeihen könnte? Ich grübelte noch ein paar Minuten über die Wochen nach meiner Rückkehr nach Manchester, unseren gemeinsamen Urlaub auf Fidschi, was alles passierte, die Hochzeit und die intensiven Flitterwochen, wo wir vorallem über unser Hotelzimmer nur gutes sagen konnten. Danach kam aber nicht die schönste Zeit des Lebens, sondern eine Phase, die sich anfühlte, wie ein Flugzeugabsturz, es ging rasant bergab und auch wenn ich überlebt habe, was nach der Menge Alkohol nicht selbstverständlich ist, fühlte ich mich innerlich tot. Ich seufzte kurz und spürte, kurz nachdem das Licht ausgemacht wurde, wie eine Träne meine Wange hinab lief und auf das Foto tropfte, dass ich nach wie vor in meiner Hand hielt.
Quellen: Will Smith Doppelgänger, Raum
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