0
'Nächster Halt, next stop, Graz Hauptbahnhof, Umsteigemöglichkeit zum Regionalzug nach....'
Mit leicht blinzelnden Augen starrte ich aus dem Zugfenster in den verregneten Abendhimmel der steirischen Hauptstadt. Ich hatte die letzten Tage wenig geschlafen, was vorallem an meiner Ahnungslosigkeit lag, wie man einen Urlaub bucht, bisher hatte das immer Ioana gemacht. Anzunehmen, dass man an Ort und Stelle einfach in ein Hotel geht und dort eincheckt war im Nachhinein gesehen ein Fehler, wer konnte schon ahnen, dass da wirklich alles ausgebucht ist. Trotz mieser Absteige, war sich Hotel schimpfte, tat es gut, den restlichen Sommer in Italien ausgeklungen haben zu lassen.
'Brauchst du noch etwas, Sorin?' unterbrach der Mann neben mir meinen Versuch erneut zu schlafen.
Ich hatte ihn am Bahnhof in Verona angesprochen und weil er mir leid tat, habe ich ihm 100€ angeboten, wenn er dafür sorgt, dass ich bis am Morgen meine Ruhe habe. Bisher eine Fehlinvestition, das der Terminus 'Ruhe haben' Smalltalk und andere Gespräche vom der Logik her ausschließt.
'Ja, ich brauche Ruhe, das sagte ich doch, Ruhe! Silenzio! Also bitte hör mal auf zu sprechen, okay?' fuhr ich ihn an, obwohl ich wusste, dass ich ihm nun Unrecht getan habe. Meine Geduld war nicht die beste und die derzeitige Sitaution, zusammen mit drei anderen Fremden in einem Nachtzug zu sitzen, machte es nicht besser.
Mit einer hastigen Handbewegung griff ich dann auf meine andere Seite und riss dem Mann neben mir den Kopfhörer herunter, der so erschrak, dass er wohl durch die Schlitze der Klimaanlage kriechen und nach draußen flüchten wollte und aus den Kopfhörern tönte viel zu laut die Stimme von Gert Steinbäcker.
'Kannst du das mal leiser machen, hier gibt es Leute, die schlafen wollen!' schnauzte ich ihn an.
Der Mann griff den Kopfhörer, drückte auf ein paar Knöpfe und nach einem kurzen Moment, nachdem er sich wieder gefasst hatte, beugte er sich zu mir und gab mir zu mit einer leichten Fahne zurück: 'Oida, was wüllst 'n du!'
Ich machte eine hastige Körperbewegung in seine Richtung, die ihn von seinem Übermutstrip wieder herunter kommen ließ, hob den einen Teil seines Kopfhörers auf und antwortete ihm:
'Wenn du das nicht leiser macht, nach Fürstenfeld, verstanden, ich will nach Fürstenfeld!'
Die restliche Nacht verlief dann zum Glück ruhiger und nach einer kaum an Unbequemheit zu überbietenden Nacht, stand ich gegen 10 Uhr morgens am Bahnhof von München. Was mir im Zug schon auf die Nerven ging, zeigte sich hier bei jeder sich bietenden Gelegenheit wieder, typische Musik, bei der eine Ziehharmonika nicht fehlen durfte und überall Betrunkene Leute in Lederhosen, ja, es war Oktoberfest hier. Mein Ziel war jedoch nicht eines der Bierzelte, schließlich würde das das ganze Leiden und die Opfer des Entzuges zunichte machen, zu meinem Glück hatte ich auch nicht mal das Verlangen danach. Mein Weg führte mich direkt durch die Bahnhofshalle hindurch zu den wartenden Taxis, die sich, als sie mich durch die Türe kommen sahen, allesamt in Bewegung setzten. Trotz meines Absturzes kannte mich noch immer jeder Fußballbegeisterter hier in Deutschland, was mich nur wunderte, war die Tatsache, dass mir der Hype um meine Person in München fast noch stärker vorkam, als das kurz vor meiner Abreise aus Dortmund ebendort der Fall war. Ich ergatterte schließlich ein Taxi und gab dem Fahrer mein Ziel bekannt, eine gute halbe Stunde Fahrt würde mich nun erwarten.
Die Fahrt durch München verlief zum Glück reibungslos und ging schneller, als der Fahrer meinte. Gut 25 Minuten später war ich an meinem Ziel angelangt und bedankte mich mit einem großzügigen Trinkgeld für die Dienste. Da stand ich also, vor dem Ort, von dem ich mich bislang 5 Jahre gedrückt habe, hinzugehen. Nicht mal, als wir in der Allianz-Arena gegen die Bayern gespielt haben, konnte ich mich für einen Abstecher hierher bewegen, ich hatte zum einen Angst vor dem Moment, der gleich kommen würde, andererseits wusste ich auch nicht, was mich erwarten würde, ob sich das ganze überhaupt lohnen würde und ich nicht als Fremder wieder von Dannen ziehen würde. Schwerer Schritte betrat ich die Klinik, wo mir sofort der ekelhafte Geruch von Desinfektionsmitteln entgegen schlug. An der Auskunft verriet man mir, dass ich in den 5.Stock müsste, meine Anspannung stieg, während ich auf den Aufzug wartete, würde er mich überhaupt noch erkennen? Würde er wissen, wer ich war? Ich atmete ein paar Mal tief durch, dann stieg ich aus dem Aufzug und redete mir selbst zu, dass es schon glatt laufen würde. Als ich dann im Gang um die Kurve ging spürte ich plötzlich etwas hartes an meinem Knie, was mit Schmerzen verbunden war und ich krachte mit jemandem zusammen. Kaum einen Augenblick später blickte ich in ein nur allzu bekanntes Gesicht.
'Sie, hier?' tat ich erstaunt und konnte mir ein Grinsen nicht verkneifen?
'Könnte ich sie auch fragen, ich hoffe, es tut nicht zu sehr weh?' warf mein Gegenüber einen kurzen Blick auf mein Knie und konnte sich ebenso ein Grinsen nicht verkneifen.
'Nichts, wofür ich später im Leben einen Gehstock brauchen würde, Sigurdur!'
'Sigurður, das heißt Sigurður, merken sie sich das nicht, oder wollen sie mich bloß ärgern und nun gehen sie mir aus den Augen!' fauchte Sigurður mich an und stieß mich zur Seite.
Als er an mir vorbei ging, fiel mir in seiner Hand ein blau-rotes Trikot auf, das ich ohne ein zweites Mal hinzublicken als Meistertrikot von Steaua Bukarest von 2013 identifizierte.
'Na, endlich auf den Geschmack gekommen?' rief ich ihm nach und bekam die gewünschte Reaktion. Sigurður drehte sich nochmals kurz um, breitete das Trikot aus und drehte es einmal schnell herum, bevor er es wieder zusammenfaltete. Der Moment reichte aus, um die Nummer 10 sehen zu können und auch wenn ich den Namen nicht ganz sehen konnte, wusste ich es sofort!
'Tragt es in die Welt!' rief ich dem Isländer hinterher, der schon hinter der Kurve verschwunden war, bevor ich kopfschüttelnd die Tür zur Abteilung aufstieß und mich erkundigte, wo ich Edouard finden würde. Die Schwester zeigte mir mit dem Finger auf den Fernseher und ich sah ihn davor sitzen, den Oberkörper unbedeckt. Ich näherte mich ihm langsam von hinten und noch bevor er sich umdrehen konnte oder wusste, was vorging, knallte ich herzhaft meine flache Hand auf seine Schulter und versuchte seine Gedanken auf mich zu lenken, indem ich sagte: 'Immer noch hier, Bruder?'
Quellen: Taxi, Steaua
Lesezeichen