'Schöne Weihnachten und stell nichts an!' verabschiedete sich Thomas Tuchel von mir. Ich fand es sehr gut, dass sich unser Coach nach dem letzten Training von jedem Spieler persönlich verabschiedete und ihn in ein paar erholsame Tage schickt, Weihnachten und Neujahr nur mit der Familie oder Freunden, das war genau das, wonach ich mich sehnte, bevor es in der ersten Januar-Woche schon wieder in die Vorbereitung ging, in Asien würden wir uns auf die Rückrunde vorbereiten. Ilkay und Matthias hatten versprochen, zu Silvester vorbeizukommen, um in kleiner Runde ein wenig zu feiern, Adrian hatte auch zugesagt, insgeheim hoffte ich aber, dass ihm entweder etwas dazwischen kommen würde, oder er seine 'Freundin' nicht mitbringen würde. Ioana war glücklich, wieder in ihre Luxusklamotten zu passen und mit hohen Absätzen durch die Gegend zu stöckeln, zugegeben, mit Sportschuhen und Jogginghosen zu ihrem teuren Schmuck sah sie auch wirklich merkwürdig aus. Knapp 1 Monat ist es nun her, als unsere Zwillinge zur Welt kamen, zum Glück war es ein Mädchen und ein Junge, Diana und Florin, geworden, somit würde ich die beiden sicherlich nicht verwechseln, auch wenn sie im Moment noch ziemlich gleich aussahen und frisurtechnisch eher an Benedikt Höwedes und Wayne Rooney erinnerten, Ioana meinte es mit den blauen und roten Strampelanzügen zwar gut, aber blau ging für mich einfach gar nicht. Weshalb das Kinder bekommen den Frauen vorbehalten war, lernte ich auch in den ersten Wochen zu verstehen, denn mit ihrem Fuß schaukelte Ioana das eine Kind in der Wiege, während sie das andere stillte und nebenbei noch das Essen kochte. Ich tat mir da schon schwer zu langsamer Musik schnell zu laufen, Multitasking eben!
Dass wir diesen Winter nicht nach Bukarest fahren konnten, machte uns zum einen traurig, andererseits freuten wir uns aber auf unser erstes gemeinsames Weihnachtsfest als Familie. Außerdem konnte ich die folgenden Wochen entspannt angehen, denn ich wusste, dass ich zumindest bis zum Sommer in Dortmund war, daran änderte sich nichts, einer der wenigen Vorteile einer Leihe. Dementsprechend ruhig war es auch um meine Person, auch wenn immer wieder spekuliert wurde, wie es denn im Sommer weitergehen würde. Damit beschäftigte ich mich vorerst aber nicht. Zu gerne würde ich in Dortmund bleiben, ich fühlte mich hier richtig wohl, die Umgebung passte einfach. Mit einem Auge beobachtete ich auch immer, wie sich Manchester United machte, die standen in der Liga zurzeit auf dem dritten Platz und hatten in der Champions League sicher die Gruppenphase überstanden. Griezmann hatte voll eingeschlagen und Martial und Rooney vorerst aus der Startelf verdrängt, was es für mich nicht einfacher machte, ich wusste, dass der Franzose ein richtig schwerer Konkurrent sein würde nach meiner Rückkehr.
'Schatz, kannst du bitte kurz kommen, ich brauche noch eine Hand!' unterbrach Ioana meine Gedanken.
'Wie kann ich dir helfen?' fragte ich sie, küsste sie und streifte mit meinem Finger über Diana's Nase.
'Rühr mir doch bitte die Jägersauce um, Sorin und pass auf, dass der Brokkoli nicht überkocht, ich hole schnell die Knödel!'
'Knödel, Brokkoli? Also muss das Fleisch in der Jägersauce drinnen sein!' kombinierte ich und rührte, fand aber weder Koteletts noch Steaks.
'Verdammt, wie hast du das hinbekommen, dass da nicht mal Stückchen von Fleisch drinnen ist?' fragte ich in der Hoffnung, dass mich Ioana aus diesem Albtraum erlösen würde.
'Sehr witzig, Schatz. Heute gibt es kein Fleisch, wir müssen auch mal etwas gesundes essen!'
'Ja, zum Beispiel an einem 30. Februar oder am Tag eines Auswärtsspieles, aber heute?' fragte ich entsetzt.
'Es wird dich schon nicht umbringen, Schatz!' sagte sie und gab mir einen flüchtigen Kuss auf die Wange.
'Das sagst du, aber sie dir doch mal diese Farbe an,' ich zog mit dem Löffel ein Stück Brokkoli aus dem kochenden Wasser,
'mit dieser Szene beginnen Horrorfilme!'
'Jetzt hab dich nicht so, wenn du brav aufisst, gibt es morgen Hirschgulasch!' zog mich Ioana wie ein kleines Kind auf.
In diesem Moment erwischte ich mich zum ersten Mal beim Multitasking, zog Ioana mit der linken Hand zu mir, während ich mit der rechten die Sauce weiterrührte, und fing an sie am Hals zu küssen. Da sie aber gerade Diana stillte, ließ sie sich nicht darauf ein, sondern hielt mich lächelnd zurück und kicherte
'jetzt doch nicht, Schatz!'
Ich tat beleidigt, verschränkte die Hände und murmelte zu ihr:
'Gut, dann bekommt du morgen das Geweih!'
Ioana hatte sich Mühe gegeben mit dem Essen, dennoch vermisste ich den Geschmack von Fleisch und fiel kurz nach dem Essen über ein restliches Steak von gestern her, welches im Kühlschrank her, während Ioana Florin holte, um ihn zu stillen. Auch wenn es kalt und nicht mehr knackfrisch war, war es ein Hochgenuss, welchen ich hastig mit den Fingern hinunterschlang. Wenig später klingelte es an der Türe, Adrian war gekommen und zum Glück versicherte er mir, nachdem ich den Flur betreten hatte und mich in allen Ecken umsah, dass er seine Freundin nicht mitgbracht hatte. Zu dritt feierten wir mit den Zwillingen Weihnachten, ich konnte es sehen, wieviel dieser Moment Ioana bedeutete, auch wenn ich es eher bescheiden, fast schon langweilig fand. Daran musste ich mich aber wohl gewöhnen, ich hatte nur noch keine Ahnung wie, und vorallem wie schnell so etwas gehen würde. Ich erinnerte mich, wie ich früher mit Bogdan um die Häuser zog, nachdem wir mit der Familie gefeiert hatten, mir bedeutete dieses Fest nie besonders viel, ich freute mich lediglich darauf, weil es Geschenke gab und danach der Alkohol floss, sodass wir bis spätestens Silvester wieder nüchtern wären.
Die weiteren Tage verliefen recht unspektakulär und ziemlich monoton, das war also dieser Alltagstrott, von dem alle sprachen. Dann war aber endlich der 31. Dezember da und ich nutzte zum einen die Gelegenheit, dass Adrian mit Ioana und den Zwillingen spazieren ging, um endlich einmal den fehlenden Schlaf nachzuholen und erst gegen halb 3 nachmittags aufzustehen. Schnell kramte ich meine Sachen zusammen, besorgte die nötigen Sachen für die Feier und kam nicht umher, ohne eine Flasche Champagner zurückzukommen. Für 6 Uhr hatten sich Matthias und Ilkay angekündigt, mittlerweile tickte die Uhr in Richtung 4 Uhr und Ioana war noch immer nicht zurückgekehrt. Ich hatte die Karpfen zwar schon im fertigen Zustand gesehen, der Weg von der Packung bis auf den Teller war mir aber unbekannt und heute auch nicht der richtige Tag für Experimente. Fast im selben Moment ging die Türe auf und Ioana und Adrian kamen mit den Zwillingen zurück. Ich half meiner Freundin in der Küche, während Adrian mit den Zwillingen blödelte und den Tisch deckte. Fast um Punkt 6 und unter ziemlichem Stress waren wir rechtzeitig fertig geworden, was wir uns hätten sparen können, weil um 6 Uhr in Deutschland scheinbar bedeutete, dass mal so gegen halb sieben der erste hereintrudeln würde. llkay war der 'pünktlichste' von den Gästen, kurz vor sieben tauchte auch Matthias mit einer mitgebrachten Flasche Champagner auf, damit wären wir eigentlich vollzählig, dachten zumindest die anderen, denn kurz nach Matthias klingelte es nochmals an der Türe.
Ich stand auf und öffnete:
'Ciro, amico, schön, dass du es geschafft hast!' begrüßte ich meinen Überraschungsgast.
'Wow, Sorin, ma bene, das riecht perfetto, aber als erstes möchte ich die bambini sehen!'
'Klar Ciro, komm mit, ich zeig dir alles, hab einiges gemacht!'
Nach einem kurzen Rundgang und einem restlos beeindruckten Ciro Immobile, der viel gutes aus Mainz berichtete und sich dort ebenso wohl fühlte, ging es dann ans Festmahl. Die Karpfen sahen einfach nur köstlich aus und nachdem mir Ioana in den letzten Tagen einige Male das Fleisch enthalten hatte, nahm ich mir den größten Fisch und machte mich an die Arbeit.
Die weitere Zeit vertrieben wir uns mit FIFA suchten, schnell wurde uns klar, dass die zwei Flaschen Champagner zu wenig waren, bis Ciro aus seiner Tasche eine große Flasche feinen italienischen Rotwein zog. Der Abend hatte dann einige lustige Überraschungen zu bieten. Wir veranstalteten ein kleines Turnier und Matthias und Ilkay schienen ziemlich überrascht, als sie gegen Ioana den kürzeren zogen und schon in der Vorrunde ausschieden, auch Adrian war chancenlos und schied als erstes aus. Ciro und ich schafften es, Ioana zu besiegen, weshalb wir um den Titel spielten. In einem spannenden Spiel setzte ich mich knapp mit 3:2 durch, was mit Rumänien gegen die stärkeren Italiener durchaus als Erfolg zu werten war. Es fühlte sich schon ein wenig komisch an, sich selbst auf der Konsole zu spielen, das bestätigten auch die anderen, aber wir hatten alle viel Spaß und die Stimmung war kurz vor Mitternacht auf dem Höhepunkt. Feuchtfröhlich und lustig ging es bis spät in die Nacht weiter, Ioana und brachten unseren Gästen ein altes rumänisches Lied bei, welches wir kurz vor dem Ende zu fünft sangen, weit kamen wir allerdings nicht, bis uns ein Lachkrampf überfiel. Es war schon fast hell, als sich Ilkay und Matthias auf den Heimweg machten, Ciro hatte ich angeboten, auf der Couch zu übernachten, was er dankend annahm. Alles in allem war es ein wirklich extrem lustiges Fest, zu schade, dass ich bereits in zwei Tagen in Flieger in Richtung Asien sitzen würde und meine beiden Zwerge und meine Freundin für fast zwei Wochen nicht sehen würde....
Quellen: Brokkoli mit Knödel, Karpfen mit Kartoffeln
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