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'Hallo? Ioana?' drang es aus dem Handy meiner Freundin. Ich hätte vielleicht vorher überlegen sollen, dass diese Person ja auch abheben wird, wenn ich anrufe, hatte nun aber keinen Plan, was ich sagen sollte. Ich versuchte es mit
'Ja, Hallo....ääääääääh, hier ist Sorin Tătărușanu, der Freund von Ioana, mit wem spreche ich denn bitte?' Ich versuchte, höflich zu bleiben, auch wenn ich möglicherweise mit einem geheimen Verehrer sprach.
'Nein, Sorin, das ist ja mal eine Überraschung, habe schon viel von dir gehört, dachte aber nicht, dass wir uns so kennen lernen würden!' gab mir die Stimme am Telefon noch mehr Rätsel auf, wer konnte das sein? Ich war echt schon kurz davor, Bogdan's besten Wortschatz dem Anrufer am anderen Ende an den Kopf zu werfen, als ich kurz innehielt und überlegte. Nach ein paar Sekunden sprach ich ein fragendes
'Adrian?' hinein, in der Hoffnug, damit meine Fragen klären zu können.
'Pisda moti, curva! Gut geraten, Mann.' antwortete mein Gesprächspartner nach einer Weile der Stille,
'was gibt es so wichtiges, dass mich Ioana nicht selbst anrufen kann?' Ich schluckte.
'Adrian, sitzt du, wäre besser.' Ich holte kurz Luft und hoffte, dass ihn die folgenden Worte nicht so treffen würden, wie sie mich damals trafen.
'Ioana hatte einen schwerern Autounfall auf dem Weg vom Flughafen, seitdem liegt sie hier im Krankenhaus im künstlichen Tiefschlaf. Das ganze ist jetzt eine gute Woche her, wir hatten keinerlei Nummern hier und ich wusste deinen Nachnamen nicht, Becali konnte ich nicht anrufen und die Techniker haben erst jetzt ihren PIN geknackt, Adrian, sag doch was!' redete ich in einem Fluss durch und wartete auf die Reaktion. Die folgenden Worte möchte ich euch nicht übersetzen, klarerweise traf diese Nachricht ihren Bruder wie ein Schlag von Klitschko ins Gesicht. Wir tauschten unsere Nummern für die Kontaktaufnahme aus und Adrian versprach, mit dem nächsten Flieger nach Istanbul zu kommen.
Ich blieb noch lange an Ioana's Bett sitzen, erzählte ihr über meine Erlebnisse, jedes kleinste Detail und sprach mit ihr, wie wenn sie bei Bewusstsein wäre. Die Ärzte meinten, das wäre wichtig, es könnte sein, dass sie jedes Wort mitbekommt, gute Ereignisse und Erzählungen könnte im besten Fall bei der Heilung helfen. Es fiel mir schwer, Ioana so hilflos liegen zu sehen und nichts tun zu können, ihre äußeren Verletzungen waren mittlerweile recht gut verheilt, doch es wäre mir lieber gewesen, wenn es in ihrem inneren einen derartigen Heilungsprozess gegeben hätte. Der Arzt heute morgen meinte, dass sie die nächsten Tage aus dem Tiefschlaf geholt werden würde und im besten Falle würde sie danach wieder bei Bewusstsein sein. Es gab vermutlich bessere Tage, als in wenigen Tagen für die rumänische Nationalmannschaft zu debütieren, aber ich kannte Ioana, sie würde nicht wollen, dass ich mir diese Chance wegen der tragischen Situation entgehen lasse.
Am nächsten Morgen, als ich nach dem Training ins Spital fuhr, wartete schon ein großer Mann mit kurzen schwarzen Haaren an Ioana's Bett, ihr Bruder war mittlerweile in Istanbul angekommen. Er begrüßte mich, meinte, er sei gerade gekommen und wollte zuerst Ioana sehen, bevor er mich anrufen würde. Ich gab ihm das Zeichen, dass ich ihn kurz draußen sprechen wollte, da ich ihm hier herinnen nicht über den Zustand sprechen wollte.
'Wie geht es ihr, Sorin, was sagen die Ärzte?' 'Sie werden sie die nächsten Tage aus dem Tiefschlaf holen, zuletzt verlief die Heilung zufriedenstellend, anfangs hatte man ein wenig Sorge.' Ich atmete kurz einmal durch, die folgenden Worte fielen mir nicht leicht:
'Adrian, ich muss leider heute Abend zum Nationalteam, ich wurde einberufen! Auf diesen Moment habe ich mich lange in meiner Karriere gefreut, doch nun kommt er im denkbar ungünstigsten Moment. Bitte halte mich auf dem laufenden, wie es Ioana geht, ich bin so schnell es geht, wieder zurück.' Ich trank mit Adrian einen Kaffee in der Cafeteria, unterhielt mich mit ihm, bevor wir wieder zu Ioana ins Zimmer gingen.
Später am Abend fand ich mich am Flughafen ein und flog nach Bukarest, wo ich mich am nächsten Morgen bei der Nationalmannschaft melden musste. Die folgende Nacht alleine in meiner alten Wohnung war einer der schlimmsten Nächte meines Lebens, die Ungewissheit und die Freude über das Nationalmannschaftsdebüt duellierten sich über die Vorherrschaft in meinen Gedanken.
Ich hatte kein Auge zugetan letzte Nacht und war dementsprechend müde, als ich gegen 9:30 Uhr im Stadion erschien. Wir hatten hier noch eine kurze Laufeinheit zu absolvieren und würden dann um 13:00 Uhr mit dem Privatjet nach Belfast fliegen, wo gegen Nordirland am Abend das erste Spiel für die WM-Quali 2018 anstand. Ich spulte die Runden relativ motivationslos herunter, wurde dabei einige Male zurechtgewiesen, weil ich entweder zu schnell oder zu langsam war. Der Coach sprach mich daraufhin nach der Einheit an:
'Sorin, ist alles okay, du wirkst so bedrückt?' Ich nickte.
'Ja, ich habe nur privat derzeit große Sorgen, meine Freundin liegt im Koma und ich habe deshalb gestern kaum ein Wort zugetan. Aber ich bekomme das schon hin Coach, danke.' Der Coach schluckte mit weit offenen Augen, klopfte mir auf die Schulter und sprach mir Mut zu. Es tat gut, mit bekannten Gesichtern und Idolen aus meiner Jugend zu sprechen, ich unterhielt mich auf der Busfahrt zum Flughafen lange mit Alexandru Maxim, der mir zu diesem Schritt in der Karriere gratulierte und mit meinem Namenskollegen, Ciprian Tătărușanu. Er hatte meine Karriere verfolgt und war froh, nachdem wir erst vor kurzem gegeneinander gespielt hatten, heute mein Mannschaftskollege zu sein. Kurz vor dem Abflug erhielt ich noch eine Nachricht von Adrian, dass die Ärzte zufrieden seien mit Ioana's Besserung und sie zuversichtlich für die nächsten Tage seien. Dadurch fand ich im Flieger auch ein wenig Ruhe und konnte den Schlaf der letzten Nacht nachholen.
Nordirland 0:1 Rumänien
0:1 Tătărușanu 35.
Die Kulisse in Belfast war keinesfalls eine, vor welcher man erstarren müsste, dazu war der Gegner mit uns absolut auf Augenhöhe. Ich durfte im 4-2-3-1 System als einzige Spitze von Beginn an ran und musste mich erstmal an das System gewöhnen, sowohl bei Al Nassr, als auch bei Galatasaray war ich es gewohnt, mit einer zweiten Spitze zu spielen. Die Partie verlief wie erwartet zu Beginn kampfbetont und mit viel Ballbesitz im Mittelfeld. Dennoch zeigte sich in den ersten Aktionen, dass wir spielerisch besser waren, als die Nordiren, doch vom Zweikampfverhalten hätten wir uns eine Scheibe abschneiden können, die in grün gekleideten Gastgeber warfen sich in jeden Zweikampf, als ginge es um ihr Leben. Der ein oder andere geriet dann auch über die Grenzen des Fairen hinaus, weshalb es in der 35. Minute einen Freistoß gab, Alexandru Maxim und ich überzuckerten die Situation am schnellsten, während die Nordiren noch reklamierten spielte der Stuttgarter Legionär den Ball schnell zu mir ab, zog von der Strafraumgrenze ab, bevor noch ein Nordire eingreifen konnte und es stand 0:1. Großer Jubel machte sich unter den mitgereisten Fans breit, auch ich lief jubelnd in Richtung Cornerfahne, trat diese aus ihrer Verankerung und formte mit meinen Händen ein Herz in eine der Kameras. Im Umdrehen hauchte ich wieder einen Kuss hinein. Danach passierte nicht mehr viel, in einer Partie ohne große Höhepunkte siegten wir verdient, mit diesem Treffer vergaß ich wieder für 90 Minuten meine Alltagssorgen, nicht umsonst ist Fußball die beliebteste Nebenbeschäftigung auf dieser Welt!
Rumänien 1:1 Wales
1:0 Tătărușanu 7.
1:1 Vokes 65.
Nur drei Tage später ging es im heimischen Nationalstadion gegen Wales ins zweite Spiel. Als der Bus vor dem Stadion parkte kamen in mir gemischte Gefühle hoch, doch zum Glück hatten wir dieses Mal einen Busfahrer, der wusste, wie man dieses Fahrzeug nicht an die Mauer setzt. Die Waliser waren ein schwerer Gegner und in dieser Partie der Favorit. Doch die Truppe rund um Superstar Gareth Bale trat anfangs sehr verhalten auf und bekam dafür nach 7 Minuten die Rechnung präsentiert. Einen Schuss von Torje konnte der Keeper der Gäste noch zur Seite abwehren, doch Prepeliță nochmals zur Mitte, in der Mitte hieß es Collins gegen mich, ich setzte mich im Kopfballduell durch und brachte uns unter tosendem Jubel der zigtausenden frenetischen Zuseher in Führung. Ich riss mich von meinen Teamkollegen los und sprintete in Richtung der Livekameras, vor denen ich meine Hände zu einem Herz faltete. Von da an wurde Wales aber wach, setzte uns unter Druck und vorallem gegen den wieselflinken Bale war auf dem Flügel kaum etwas auazurichten. Zum Glück waren seine Flanken aber noch zu unpräzise. Mit etwas Glück konnten wir uns auch bei einem Freistoß von Bale retten, denn Tătărușanu bekam den Ball von der Stange an den Hinterkopf, aber Radu kratzte das Ding gerade noch von der Linie. Kurz vor der Pause fuhren wir dann nochmals einen gefährlichen Angriff, Tătărușanu auf Tătărușanu, ich weiter auf Radu, der flankte gefährlich in den Strafraum, aber Maxim verpasste um Zemtimeter. Zur Pause war für mich dieses Mal Schluss, es kam Bogdan Stancu, doch gefährlich wurden in der zweiten Halbzeit ausschließlich die Waliser. Irgendwann, das war uns bewusst, würde dieser Dauerdruck wohl zu viel werden und so war es auch, denn in der 65. Minute traf Sam Vokes zum Ausgleich. Mit dem Punkt konnten wir aber gut leben.
Nach der Partie ging mein erster Griff zum Handy. Ich hatte nicht nur zwei Nachrichten, sondern just in diesem Moment klingelte mein Telefon:
'Sorin Tătărușanu hier!' antwortete ich.
'Weiß ich doch, Mann, Sotaaaaaaaaaa, wasssssss geht aaaaaaaaaaabbb!!' brüllte eine mir wohl bekannte Stimme in den Lautsprecher.
'Bogdaaaaaaaan! Curva, dass du dich auch mal wieder rührst, was geht ab?'
'Sachen, Sota, weißt du eh!'
'Was gibt es neues Bogdan?'
'Alles cool, wie immer!'
'Bist du schon wieder betrunken, ich höre deine Flasche Tequila im Mikro!'
'Curva, so ein Blödsinn!.......... das ist Absinth!'
'Hahahaha, Bogdan, wie immer!'
'Logo! Ich wollte dir eigentlich nur zu den zwei krassen Dingern für unsere Farben gratulieren, du machst unsere Nation stolz, Alter, weiter so. Man sieht sich nächstes Jahr in Barcelona!'
'Schön wärs, hättest du die Klappe gehalten!'
'Whoa, chill ne Runde, gibt doch noch ein zweites Team hier!'
'Ja, okay, alles klar, guten Rausch, amicul!'
Weit wichtiger, als mir den Rausch von Bogdan zu geben, waren mir die Nachrichten von Adrian, der mir auf die Box sprach und meinte, ich solle ihn so schnell wie möglich zurückrufen. Ich wählte seine Nummer, während ich die Umkleide verließ, ich hatte zum Glück die Erlaubnis, mich früher vom Team abzusetzen.
'Adrian, was gibt es? Wie geht es Io..'
'Sorin, das glaubst du nie! Ioana ist aus dem Koma erwacht! Heute am frühen Abend so gegen 19:37 Uhr.'
Ich rechnete kurz in meinem Kopf nach, das war in etwa der Zeitpunkt, als ich zum 1:0 getroffen hatte.
'Jetzt hör auf, das ist ja großartig! Oh Mann, ich kann das kaum fassen, ich fühl mich so unbeschreiblich gut, ich, ............., ich nehme den nächsten Flieger und komme, so schnell es geht.'
Während ich mich in meine Wohnung chauffieren ließ, suchte ich im Internet nach den nächsten Flügen, doch der erste würde frühestens morgen früh gehen. Solange wollte ich nicht warten. Bei der Wohnung angekommen, bat ich den Taxifahrer, kurz zu warten, ich kramte schnell meine Sachen zusammen, stopfte alles in meinen Koffer und schloss die Türe.
'Ich weiß, das kommt nicht immer vor, aber würde es Umstände machen, wenn sie mich nach Istanbul bringen?' Der Taxifahrer blickte mit finsterer Miene in den Rückspiegel, doch sein Blick weitete sich schnell und er streckte mir seine Hand entgegen und meinte:
'Curva verdammt, ich wusste es, du bist Sorin Tătărușanu! Für dich und deine Treffer würde ich alles machen!' Im Gegenzug gegen ein Autogramm und einen fürstlichen Lohn brachte er mich nach Istanbul, wo ich am nächsten Morgen gegen 5 Uhr eintraf. Ich machte mich schnell in unserem Haus frisch, duschte und zog dann meinen feinsten Zwirn an und machte mich mit einem großen Strauß roter Rosen auf den Weg ins Krankenhaus. Zuvor schrieb ich noch eine SMS an Adrian, dass ich den heutigen Vormittag gerne mit Ioana alleine haben würde. Kurz vor dem Betreten des Krankenhauses vibrierte nochmals mein Telefon, doch ich ignorierte es. In diesem Moment gehörte meine ganze Konzentration Ioana und den ersten Kontakt seit unserem Streit vor etwa zweieinhalb Wochen. Ich richtete meine Krawatte zurecht, holte tief Luft und blickte schon durch die Glasfenster in die Augen meiner geliebten Freundin, als mit plötzlich jemand von hinten an der Schulter packte und eine allzu bekannte Stimme meinen Namen rief......
Quellen: Krankenhaus, Hand auf Schulter
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