[FONT=verdana]Die letzten zwei Tage vor dem entscheidenden Spiel war ich zwar wieder endlich im Trainerteam angekommen und konnte die letzten Trainingseinheiten auch leiten, dennoch war Lars natürlich viel näher an der Mannschaft – er hatte das Team ja Interimsweise betreut und dabei recht erfolgreich einen Wechsel aufs 3-6-1-System hinbekommen. Und dann war er endlich da, der entscheidende Tag – uns reichte ein Remis, um dem Relegationsplatz zu sichern, bei einer Pleite würde es vom Parallelspiel zwischen Leipzig und Sandhausen abhängen, bei einem Sieg würden wir direkt aufsteigen – so viel zur Situation. Die Mannschaft kam nochmal in der Kabine zusammen, ehe es auf den Rasen ging. „Ihr wisst, ich bin euer Trainer.“ begann ich. „Aber die letzten Wochen war Lars näher dran, hat mehr mit euch gearbeitet. Also wird er das heute leiten.“ sagte ich nur knapp und erntete zustimmendes Nicken, ehe Lars weiter redete. Die Mannschaft ging auf den Platz und zunächst wurden einige Spieler verabschiedet: André Fomitschow und Dennis Mast würden den Verein nach der Saison beide wieder Verlassen und definitiv in der neuen Saison nicht wieder auf uns treffen – beide wechselten zum bereits sicher abgestiegenen SV Sandhausen. Auch für die Leihspieler Marnon Busch und Asger Sørensen würde es nicht weitergehen – während sich Busch nicht nachhaltig durchsetzen konnte und ohnehin durch Remmer bereits ein Ersatz feststand, hatte Sørensen sich entschieden den Verein zu verlassen und sein Glück wieder in Salzburg zu suchen. Im Endeffekt waren es drei Ersatzspieler und mit Sørensen ein Rotationsspieler, nichts großartiges und somit war die Sache auch relativ schnell erledigt.
Startelf 1860 München: Ortega – Börner, Sørensen, Schindler – Wolf, Adlung, Teigl – Magnússon, Pereira, Gíslason – Böðvarsson
Dann begann das Spiel und wir begannen offensiv – auf eine Pleite von Leipzig in Sandhausen wollten wir nicht vertrauen und das wohl zurecht, denn noch bevor das Spiel bei uns Angepfiffen wurde, lagen die Roten Bullen bereits in Führung. Doch die Fortuna spielte ebenfalls offensiv und wollte unbedingt die letzte Aufstiegschance nutzen und hatte die erste Chance: Bolly wurde von Lukas Schmitz steil geschickt und nutzte seinen Tempovorteil gegen Börner, um dem Ex-Bielefelder davonzuziehen. Doch frei vor dem Kasten behielt der Ivorer nicht die Nerven und scheiterte an Ortega, der zur Ecke klären konnte. Unsere erste Chance resultierte dann knapp zehn Minuten später aus einem Eckball: Pereira trat den Ball scharf auf den ersten Pfosten, Schindler setzte sich gegen Bodzek durch und köpfte den Ball eiskalt in die kurze Ecke. Doch die Freude über die Führung verblasste schnell: Im direkten Gegenzug bediente Bodzek den jungen Kinjo, der sich gegen Sørensen durchsetzte und Ortega keine Chance ließ. Kurz vor der Pause hatte Jón Böðvarsson noch eine Chance, scheiterte jedoch aus spitzem Winkel am Außenpfosten.
Schindler traf zur frühen Führung
Zur zweiten Halbzeit war klar, dass wir uns bessern mussten – Leipzig hatte Sandhausen bereits in Durchgang eins in alle Einzelteile zerlegt und führte mit 5:0. Doch keine Minute nach Wiederanpfiff lagen sich zunächst die Düsseldorfer jubelnd in den Armen: Bolly hatte Sararer steil geschickt und der ließ sich aus zwölf Metern nicht zweimal bitten und schob den Ball ins Netz. Doch damit war Düsseldorf abgemeldet, die Fortunen hatten keine Chancen mehr und wir fuhren – jetzt im 3-5-2 mit Sama als zweiter Spitze – einen Angriff nach dem anderen auf das Tor der Gäste. Erst wurde ein Kopfball von Wolf nach einer Flanke von Teigl zur Ecke geklärt, dann lenkte Madlung einen Schuss von Adlung an die Latte. Doch einen Standard später war die Antwort da: Eine Ecke von Pereira wurde geblockt, der Brasilianer bekam den Ball wieder, zog einen Haken und flankte auf den zweiten Pfosten. Dort schraubte sich Börner von allen Gegnern verlassen in die Luft und nickte den Ball ins Netz. Damit hatten wir Blut geleckt, doch der Ball wollte nicht ins Netz: Ein Schuss aus der dritten Reihe von Magnússon landete bei Rensing, ein Distanzversuch von Pereira an der Latte. Kurze Zeit später zeigte Gíslason nochmal seine Qualitäten: Der Rechtsaußen setzte sich im Tempodribbling gegen vier Düsseldorfer durch und zog ab – doch der Ball landete am Pfosten, im Nachsetzen konnte Rensing Sekundenbruchteile vor Böðvarsson retten. Langsam lief uns die Zeit davon, und Sekunden nachdem auf der Anzeigetafel der 8:0-Zwischenstand aus Leipzig aus der 85' Minute angezeigt wurde, blieb den Fans abermals der Torschrei im Hals stecken: Wittek flankte scharf vors Tor, Sama rutschte in den Ball, doch auf der Linie konnte Bodzek für den schon geschlagenen Rensing retten. 87' Minute, Freistoß für uns aus knapp 35 Metern halblinker Position. „Der wird den doch nicht schießen, oder?“ fragte ich Lars irritiert, während sich Andreas Pereira den Ball zurechtlegte. „Weißt du, was ich am Football so liebe? Man hat als Trainer vor jedem Spielzug die Chance einzugreifen.“ antwortete er und wies Pereira wild gestikulierend an, eine Flanke zu schlagen und mit der anderen Hand Ortega, noch im Tor zu bleiben – es sah etwas skurril aus. Pereira nickte und reckte zur Bestätigung den Daumen nach oben. Er fixierte nochmal den Ball, lief an und zog den Ball direkt aufs Tor – wie ein Strich flog der Ball über die Mauer und senkte sich genau in den Winkel – 3:2! „In den letzten fünf Minuten sollte man aber den Quarterback machen lassen, was er für richtig hält.“ meinte er und schüttelte den Kopf, ehe er mit mir Einschlug. Der Brasilianer wurde längst unter einer Jubeltraube begraben, kam danach aber nochmal zur Bank. „Ich sagte doch Flanken.“ meinte Lars zu ihm und Pereira nickte schuldbewusst. „War als Flanke gedacht.“ meinte er grinsend und mit einem Schulterzucken und bekam erst von Lars und dann von mir einen Klaps auf den Hinterkopf, ehe das Spiel in die letzten Minuten ging. Düsseldorf warf alles nach vorne, doch den Schlusspunkt setzten wir: Nach einer Ecke der Fortuna konterten wir eiskalt, am Ende legte Böðvarsson quer für Julian Sama und der schob den Ball zum Endstand von 4:2 in die Maschen.
Andreas Pereira und das Tor zum Aufstieg
Wenige Stunden später hatte sich die Lage nach Abpfiff wieder etwas beruhigt – nun ja, wenige Stunden waren höflich ausgedrückt. Wir hatten es halb Vier am Morgen, die Meisterfeier hatte sich von den Kabinen zum Vereinsheim verlagert und jetzt waren wir mit noch immer knapp der Hälfte der Mannschaft in einer von Shisharauch zugequalmten Wohnung in München gestrandet. Während sich draußen langsam das Tageslicht zeigte, leerte sich die Veranstaltung und kurz vor fünf war ich mir ziemlich sicher, alleine zu sein. Ich sah mich um und stellte erschrocken vor, dass es meine Wohnung war.
„Wie sieht es hier denn aus?“ fragte eine Stimme und ich stellte erschrocken fest, dass es meine Stimme war. Ich sah mich in meiner Wohnung um und sah in meine Hand. Ich dachte, ich hätte angefangen Zigarette zu rauchen – was vielen nach überstandener Schmerzmittelsucht widerfuhr – aber es war definitiv keine Zigarette. Ich drückte die Nicht-Zigarette in einem halbleeren Glas aus und stand auf.
„Ey, Coach!“ rief eine Stimme irgendwo neben mir. Ich drehte mich um und sah Andreas Pereira – auch etwas in der Hand halten, was nicht nach Zigarette aussah.
„Hm?“
„Das war mein Glas!“ fügte er an.
„Sie es als Revanche für deine 'Flanke'.“ meinte ich trocken und erntete ein Grinsen. Ich ging in die Küche und stellte fest, dass er nicht der einzige war, der noch geblieben war – Niels lag schlafend oder im Koma auf den Fliesen, doch sein röchelnder Atem verriet, dass er noch am Leben war. Und an der Küchenzeile stand Emma Claire, trank Scotch und sah gebannt in den Sonnenaufgang.
„Sie sind noch hier?“ fragte ich das offensichtliche.
„Klar.“ meinte sie nur und drehte sich lächelnd um.
„Und trinken mir den Whisky weg.“ fügte ich an.
„Klar.“ wiederholte sie.
„Schmeckt ihnen mein Scotch?“ fragte ich säuerlich.
„Er schmeckt wirklich gut.“ meinte Emma und nippte an ihrem Glas.
„Und was trinken sie?“ fragte ich und nahm mir ebenfalls ein Glas.
„Macallan.“ sagte sie und ich nickte.
„12? 18?“ fragte ich nach.
„Nein.“ meinte sie nur und schob die offene Flasche in mein Blickfeld.
„Macallan Anniversary 50 Years 1928.“ las ich das Etikett. „Wissen sie, was der kostet?!“ fügte ich an.
„Nein.“
„Schätzen sie.“ befahl ich mit grimmiger Mine.
„1.000€?“ fragte sie und hob eine Braue.
„Fast.“ meinte ich und schenkte mir ein. „55.000€.“ antwortete ich und schüttelte den Kopf.
„Oh.“ antwortete sie und zuckte mit den Achseln. „Aber er ist jeden Cent wert.“ fügte sie hinzu.
„Schön.“ meinte ich nur und konnte es immer noch nicht so recht fassen.
„Glückwunsch zum Aufstieg.“ sagte Emma schließlich nach einer Pause.
„Danke.“ antwortete ich. „Und ihnen ebenfalls.“ fügte ich hinzu.
Wieder brach langes Schweigen ein und wir sahen uns in die Augen.
„Ich habe das Bedürfnis, sie zu küssen.“ meinte Emma schließlich.
„Das sind die Endorphine. Und der Alkohol.“ antwortete ich schnippisch.
„Also geht es ihnen nicht so?“
„Doch.“ sagte ich wahrheitsgemäß und sah sie an. „Ich will dich immer küssen.“ ergänzte ich und hatte sie damit das erste Mal seit langer Zeit wieder geduzt. Unsere Gesichter näherten sich einander, als ein Poltern im Türrahmen uns aufschrecken ließ.
„So Coach, ich – whow!“ Andreas Pereira stand in der Tür. „Ich wollte nur sagen, dass ich mich auch auf den Weg mache, ich brauche echt Schlaf.“ stotterte er. „Ich hoffe, ich habe bei nichts gestört.“ ergänzte er grinsend.
„Hast du nicht.“ sagte ich Trocken. „Und ruh' dich gut aus, Montag darfst du für deinen Freistoß zehn Runden um den Platz laufen.“ fügte ich hinzu und grinste ebenfalls.
„Sie scherzen, oder?“
„Natürlich.“ antwortete ich und sah, wie sich Erleichterung in Andreas' Gesicht breit machte. „Zwanzig Runden. Es war immerhin ein wichtiges Spiel.“ korrigierte ich mich und die Erleichterung war verschwunden. „Und jetzt Abmarsch!“
Nachdem Andreas gegangen war und die Tür knallend ins Schloss gefallen war, wandte ich mich wieder Emma zu. „Und jetzt?“ fragte ich.
„Ich sollte jetzt auch gehen.“ antwortete sie nur, leerte ihr Glas und stand auf.
„Das sollten sie wohl.“ stimmte ich zu und nickte abwesend, während auch mein Blick über den Sonnenaufgang schweifte.
Quellen: Schindler, Pereira Kopf, Pereira Körper |
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