Nachdem der Sommertranfer von Mats Møller Dæhli eingetütet war, wollten wir nun die weitere Zukunftsplanung vorantreiben: Emma Claire hatte für den Nachmittag ein Treffen zu dritt mit ihr, mir und Ragnar Águstsson arrangiert, in dem wir mit dem Isländer über die Möglichkeit einer Investition reden wollten. Die Tatsache, dass der sich aus Island hierher bequemt hatte, schien schon einmal ein gutes Omen zu sein, dass er meine Absage für den Posten der Nationalmannschaft vor knapp drei Jahren mittlerweile verdaut hatte. Und so Warteten Emma und Ich in ihrem Büro auf Ragnar, der dann auch endlich – eine knappe halbe Stunde zu spät – im Türrahmen stand. Er hatte nach wie vor etwas majestätisches und auf gewisse Weise angsteinflößendes – ein perfekt rasiertes Gesicht, bedeckt von einem Millimetergenauen Seitenscheitel steckte auf einem maßgeschneiderten schwarzen Anzug, der in schnurgerader Körperhaltung aus schlichten Anzugschuhen emporragte und der einzige Makel, den die Erscheinung dieser 1,90 Meter isländischer Naturgewalt offenbarte, war wie schon zuletzt die Krawatte: Orange-Grün mit Paisley-Muster, selbst ein Blinder hätte nur schwer einen Würgereiz unterdrücken können. Doch Emma beachtete das ungeheuerliche Anhängsel nicht und stand lächelnd auf.
„Sie müssen Herr Águstsson sein.“ sagte sie freundlich und streckte die Hand zur Begrüßung aus, während auch ich mich langsam erhob.
„Ich weiß nicht, wieso ich der sein muss, aber ich bin es.“ meinte er nur und schüttelte ihr die Hand. „Und sie sind dann wohl Emma Claire.“ stellte er fest und erntete ein Nicken. „Und das ist ja ihr Erfolgstrainer.“ meinte er und wandte sich mir zu.
„Ragnar.“ sagte ich und hielt ihm ebenfalls zur Begrüßung die Hand hin.
„Sigurður.“ antwortete er und schüttelte auch mir die Hand. Wir sahen uns eine Weile an und musterten einander, während Emma ungeduldig neben uns stand und wartete, wie sich die Situation entwickeln konnte – ich hatte mir ungefähr ein dutzend Mal anhören dürfen, mich benehmen zu müssen, und widerwillig verkniff ich mir jeglichen Kommentar zu meinem Unrühmlichen Abgang bei RB, mit dem Ragnar definitiv etwas zu tun hatte. Es kam mir wie Stunden vor, obgleich es in Wahrheit wohl eher Sekunden waren, bis Ragnar endlich sein Blatt auf den Tisch legte. „München bekommt dir gut.“ meinte er und setzte sich auf den einzigen noch freien Stuhl. Emma atmete hörbar erleichtert auf und setzte sich ebenfalls. „Also, reden wir Klartext.“ begann Ragnar das Gespräch.
„Wir brauchen Geld.“ sagte ich nur und nahm ebenfalls Platz.
„Was mir klar war, wegen des Kaffees bin ich sicher nicht hier.“ meinte Ragnar. „Aber warum sollte ich investieren?[/COLOR]“ fragte er nach.
„Weil es für sie die Chance ist, in den Fußball zurückzukommen.“ antwortete Emma. „In einer Top-Liga, bei einem Verein mit dem sie viel aufbauen können. Sie und ihre Freunde aus Übersee.“
„Sie wissen von meinen Geschäftspartnern?“ fragte Ragnar etwas überrascht.
„Natürlich. Und es sind allesamt seriöse Geschäftsmänner aus den USA. Das ist beeindruckend.“
„Danke. Ich gebe mich nie mit zwielichtigen Leuten ab, wenn es ums Geld geht.“ meinte Ragnar nur. „Und zugegebenermaßen ist das Angebot mehr als interessant. Und ich nehme an, es hat etwas mit Ismaiks Rückkehrwunsch zu tun?“ fragte er nach.
„Sie nehmen richtig an.“ antwortete Emma. „Mein Angebot ist folgendes: Sie übernehmen meine Anteile und statten mich dafür mit einem unbefristeten Vertrag als Leiterin der Fußballprofimannschaft aus. Sie lenken den gesamten restlichen Verein und sie wären natürlich auch mein Vorgesetzter.“
„Das klingt nur mäßig überzeugend.“ meinte Ragnar nur. „Wenn ich ihre Anteile kaufe, wieso sollte ich sie behalten?“ fragte er und bekam zunächst keine Antwort.
„Weil es dir nicht um Fußball geht.“ beendete ich schließlich das Schweigen und konnte förmlich spüren, wie mich Emma von der Seite her mit Blicken erdolchte. „Es geht dir um die Kontrolle. Um das Spiel. Die Macht. Und darum, etwas aufzubauen.“ führte ich aus. „Und das alles hättest du.“
„So weit habe ich auch schon gedacht.“ meinte Ragnar nur. „Gut zu wissen, dass dein Verstand immer noch so schnell funktioniert, wie früher.“ fügte er an.
„Also sind sie dabei?“ fragte Emma kühn.
„Ja, bin ich.“ meinte Ragnar nur und ich konnte förmlich die Last hören, die von Emmas Schultern polterte. „Ich wollte nur sehen, mit wem ich es zu tun habe. Aber reden wir Tacheles. Ich bin dabei, aber unter einer Bedingung.“ fügte er hinzu.
„Die da wäre? Nichts ist unverhandelbar.“ meinte Emma noch immer von ihrer Glückseligkeit übermannt, ehe sie selbst bemerkte, dass sie gerade einen Blankoscheck ausgestellt hatte.
„Nun, es ist nichts großes. Aber mit unseren Geldreserven ist die finanzielle Grundlage da, dem Verein ein eigenes Stadion zu bauen, auf lange Sicht. Und kurzfristig wird der Verein beim Bau einer Jugendakademie in Island mitwirken. Offizielle Partnerschaft, Möglichkeit zur Teilnahme am Training hier in den Vorbereitungsphasen, das übliche eben. Deal?“ fragte er und streckte die Hand aus.
„Deal.“ antwortete Emma und schlug ein.
So würde das fertige Jugendleistungszentrum in Island aussehen
Während die beiden jetzt über die Einzelheiten redeten – wie genau es ablaufen sollte und was es alles kosten sollte – schweiften meine Gedanken langsam weg und drifteten zu den nächsten Spielen.
„Was ist das eigentlich für ein Krach da draußen?“ holte mich Emmas Stimme aus meinen Gedanken.
„Was?“ fragte ich und schreckte hoch – und dann hörte ich es. Ein fürchterlicher Lärm drang aus dem Erdgeschoss nach oben, es hörte sich an als würde jemand mit bloßen Händen die Einrichtung auseinandernehmen.
„Was ist da los?“ fragte sie nach und stand auf, während Ragnar sein Handy aus der Hosentasche holte. Langsam ging sie zur Tür und öffnete sie – doch der Gang schien Menschenleer. Die Geräusche verstummten abrupt und ein ungutes Schweigen breitete sich aus. „Hat sich alles geregelt?“ fragte sie in den Raum und ich zuckte teilnahmslos die Schultern. „Na ja, wie auch immer.“ meinte sie und schüttelte den Kopf. Sie schloss die Tür und drehte sich wieder zu uns um, als plötzlich ein Knall die Stille durchbrach. Dann noch einer und lautstarke Schreie setzten ein. Emma zuckte zusammen, mir fiel der Stock aus der Hand und Ragnar griff sofort wieder nach dem Handy.
„Ich rufe die Polizei, das sind Schüsse!“ rief er nur und tippte hastig auf seinem Handy rum.
„Kommen sie her!“ schrie Emma mich an.
„Was?“
„Schieben sie die Kommode vor die Tür!“ schrie sie weiter.
„Mit dem Bein?“
„Sigurður!“
„Ist ja schon gut, ich komme ja schon.“ meinte ich und humpelte los – und keine Sekunde zu früh. Noch während mit Emma die Tür verbarrikadierte, hörte man schnelle Schritte durch das Treppenhaus.
„Wer ist das?“ wisperte Emma leise.
„Keine Ahnung.“ antwortete ich.
„Die Polizei ist gleich da.“ meinte Ragnar irgendwoher.
Die Zeit zog sich langsam dahin, Minute um Minute verging während die Schritte auf dem Gang näher kamen und Raum für Raum den Flur abgingen. Immer wieder waren Schreie zu hören, doch kein Schussgeräusch fiel mehr – was schon ein Gutes Zeichen war. Ich nahm während der Zeit vermutlich mehr Oxy als sonst an einem ganzen Tag, und erst eine Stimme riss mich aus meinen Gedanken.
„Hier ist Richard Hungars. Ich bin Polizeibeamter. Die Lage ist unter Kontrolle, sie können rauskommen.“ sagte eine tiefe Stimme auf der anderen Seite der Tür. „Herr Águstsson, Herr Mikaelsson, Frau Claire, lassen sie uns herein. Es ist sicher. Wir haben den Schützen.“ fügte er hinzu, doch ohne eine Antwort zu bekommen. Langsam öffnete Emma die Tür. Der Polizist zeigte seinen Ausweis vor und Emma öffnete die Tür endgültig.
„Was ist passiert?“ fragte sie schließlich.
„Der Schütze ist ins Erdgeschoss eingedrungen und hat gefragt, wo ihr Meeting stattfindet. Er hat Warnschüsse abgegeben, aber einer der Security-Männer wurde angeschossen. Seine Lage ist stabil und der Schütze konnte überwältigt werden. Es war...“
Ich hörte nicht mehr zu und sah an dem Beamten vorbei zu seinen Kollegen, die den Schützen auf dem Boden festgemacht hatten – aber ich erkannte ihn sofort. „Warum?“ fragte ich nur und sah den am Boden liegenden mit traurigem Blick an. Er drehte den Kopf und ich sah in mir mehr als bekannte Augen, doch eine Antwort bekam ich nicht.
Quellen: Polizei |
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