Gelangweilt starrte ich auf die Deckenleuchte in meinem Krakenhauszimmer. Mit regelmäßiger Wiederholung blinkte die weiß-gelbliche Neonröhre vor sich hin und mit meinem Handy und einem Zettel in der Hand notierte ich die Abstände zwischen den einzelnen Flackern. Nach einigen Minuten ließ ich das aber gelangweilt bleiben, auch weil sich der Wackelkontakt an keinerlei Regeln hielt und einfach blinkte, wie er wollte. Aus einer kleinen Lade neben meinem Bett holte ich einen Walkman heraus und drückte auf Play. Gebannt hörte ich auf die Stimme und brachte nach einigen Wiederholungen langsam 'Tänään on kaunis päivä' heraus. 'Mann, Alter, entweder bist du komplett blau, oder du redest im Fieberwahn, wobei das eine das andere nicht ausschließen soll!' erklang plötzlich eine bekannte Stimme neben mir. 'Bogdan, endlich, sag mal wo warst du so lange, kannst du dir eigentlich vorstellen, wie langweilig es hier ist?' 'Curva, denkst du, ich lieg die ganze Zeit faul im Bett wie du', gab mir Bogdan forsch entgegen, 'und du weißt ganz genau, dass mich die hier nicht vor drei Uhr hereinlassen!' 'Schon gut, kein Ding, was gibt es neues?' Bogdan erzählte mir unter anderem, dass man bei Steaua einen wahren Erfolgsrun hingelegt hatte, die letzten 5 Spiele nach meiner schweren Verletzung allesamt gewonnen hatte, mit 13:1 Tordifferenz dabei auch ziemlich dominiert hatte. Das gefiel mir nicht, so würde es nicht leicht werden, wieder zurück zu kommen. Doch meine Gedanken streiften ein ganz anderes Thema, der Geburtstag von Bogdan. Schließlich war es bald soweit, doch so wie es aussah, würde ich wohl in frühestens 2 Monaten aufstehen können und die ersten Schritte machen können, vom Laufen und wieder Fußball spielen ganz zu schweigen. Ich hatte eigentlich geplant, unser Team einzuladen und gegen andere Jungs aus dem Viertel zu spielen, mit Bogdan auf unserer Seite, das war immer schon sein Traum. Etwas wehmütig musste ich diesen Plan begraben, aber ich hatte ein anderes Ass im Ärmel. Ich unterbrach Bogdan bei seinen Erzählungen, zugehört hatte ich ohnehin schon etwa 3 Minuten nicht mehr und hoffte, dass er sich auf meinen Plan einlassen würde: 'Du Bogdan, amicul, hör mal, ich weiß, du hast jetzt bald Geburtstag, einen beosnderen, Mann, du wirst 18, und ich hocke hier fest und kann nichts machen. Ich wollte dich eigentlich mit einem Spiel überraschen, Steaua, du und wir und die Jungs in einem Team, gegen andere aus dem Viertel, aber das wird wohl leider nichts.' 'Mach dir keine Gedanken um den....' unterbrach mich Bogdan, aber bevor er Luft holte, um weiterzureden, fuhr ich ihm erneut ins Wort. '....nicht jetzt, jetzt bin ich dran! Bogdan, wir kennen uns so lange jetzt, ich wollte, dass das ein unvergesslicher Abend wird. Feiere deinen Geburtstag mit deinen Freunden, lass die Sau ordentlich raus, aber wenn ich hier rauskomme, wieder halbwegs gehen kann und schneller bin als Toni Polster früher auf dem Flügel, dann verspreche ich dir, schmeißen wir eine Party, die ganz Bucureşti nicht so schnell vergessen wird!' Ich konnte ein Lächeln in seinen Augen sehen und wusste, dass dieser Vorschlag ganz nach seinem Geschmack war. Er streckte mir die Hand aus und wir schlossen den Pakt. Bevor dann einige Zeit später Rattengesicht-Schwester wieder ins Zimmer kam und Bogdan aufforderte zu gehen, weil die Besuchszeit vorbei war, entgegnete mir Bogdan noch: 'Hyvää jötä, kusipää!' und verließ lachend den Raum. Staunend, in welcher Lebenslage ihm so langweilig gewesen ist, dass er anfing, finnisch zu lernen, musste ich auch lachen, von all den Sprachen, hatte ich finnisch ausgewählt und Bogdan tickte offenbar genauso.
Es war ein kalter Februar-Morgen im Spital in Bukarest. Im Krankenzimmer hatte es ungefähr 18 Grad, ich bibberte im hässlichen Krankenhausnachthemd, dass so aussah, als hätte es eine der Putzfrauen ursprünglich als Vorhang verwendet, oder sogar als Lappen, aber ich verdrängte den Gedanken. Ich konnte mein Workout erneut erfolgreich abschließen, was den bloden Physio, der mir zugeteilt wurde offenbar mehr freute, als nicht selbst. Fast 4 Monate ist es nun her, dass mir in mehreren Operationen meine Knochen zusammengeflickt wurden und alles eingerenkt wurde, was dort nicht hingehörte, wo es nach dem Tritt war. Seit einer Woche hatte sich Bogdan nicht mehr blicken lassen, ich hoffte doch, dass er nach dem Saufgelage zu seinem Geburtstag sein Leben nicht vergessen hatte und noch wusste, wer er ist, andererseits befand ich es als normal, dass er so eine Zeitspanne brauchte, um wieder nüchtern zu werden. Gerade als ich im Gedanken war stand er in der Tür, kaum wieder zu erkennen mit blau gefärbten Haaren und einem ebenso blauen 13-Tage-Bart.
Ich prustete laut los, Bogdan folgte mit einem kurzen Abstand ebenso, bis wir gebeten wurden, ruhiger zu sein, da durch unser Lachen die OP-Ärzte 5 Stockwerke unter uns sich gestört fühlten. 'Pisda moti, was hast du verbrochen, damit du das gemacht hast?' fragte ich Bogdan und bekam mich kaum mehr ein vor Lachen. 'Sota, weißt du, wie lange ein Rumäne braucht, um nüchtern zu werden? 5 Tage lang nichts trinken! Wir haben und so derbe die Kante gegeben, dass es nicht mehr feierlich war, an dem Tag, an dem ich aus dem Krankenhaus kam, wo du sagtest, ich solle die Sau an meinem Geburtstag rauslassen, sprach mich ein älterer Mann im Flur an und fragte mich, ob ich Bogdan bin. Ich nickte und der Typ drückte mir wortlos 500 Leu (etwa 115€) in die Hand und meinte nur, dass du schon so viel über mich erzählt hast und auch über die Planung für meinen Geburtstag. Ich glaube, sein Name war Becali. Naja, jedenfalls, kannst du dir vorstellen, was für eine Masse an Alkohol man bekommt um dieses Geld. Und für den Rest ging sich sogar noch ein Friseurbesuch aus, eigentlich sagte ich ihm, dass ich wollte, dass mein Kopf aussieht wie das Wappen von Steaua, aber er meinte für das Geld ginge sich nur blau aus, so lief das dann. Außerdem musste er zwei andere Helfer finden, die mich während des Schnittes fixiert und mich hielten, sodass ich nicht mit dem Kopf gegen die Tischkante knallte, oder vom Sessel fiel!' Ich prustete erneut, das war typisch Bogdan. Es kotzte mich an, nicht dabei gewesen zu sein, aber ich machte endlich kleine Fortschritte und der Arzt meinte, dass ich vielleicht schon in zwei Wochen das Spital verlassen könnte. Das stimmt mich positiv. Bogdan redete noch stundenlang mit mir über die Partie, auch weil ihn Rattengesicht-Schwester nicht mehr vertreiben konnte, weil ich fähig war, mich auf meinen Krücken in den Park zu begeben, was die Ärzte zwar nicht gerne sahen, aber mir allerding auch ziemlich egal war.
Es war wieder eine Woche vergangen und ich konnte mit den Krücken schon relativ flüssig gehen, doch ohne sie war ich immer noch recht aufgeschmissen. Ich verlegte mein Workout nach draußen, weil ich den Gestank von Äther und allen anderen medizinischen Mitteln nicht mehr aushielt und außerdem auch die Mädels sehen wollte, die immer gegen 10 Uhr vor dem Krankenhaus vorbei geschwabbelt kamen. Normal beließ ich es bei ein paar wiederholten Pfiffen, weil hin und wieder die eine oder andere dabei war, die trotz ihrer Rettungsringe gut anzusehen waren, aber die meisten drehten sich nach meinen meist abfälligen und abwertenden Sprüchen wieder um. Erst gestern fragte ich eine blonde etwas dickere Mitte-Dreißiger, ob sich das denn wirklich noch lohnen würde bei diesem Gesicht. Heute war es aber anders. Schon von weitem erblickte ich eine junge rothaarige Frau, höchstens 20 Jahre alt inmitten der Gruppe. Ich gab normal nicht viel auf solche flüchtigen Bekanntschaften, aber ich wollte diese Chance definitiv nicht ungeachtet lassen. Ich humpelte also hinüber, warf, als sie mich schon deutlich sehen konnte meine Krücke zwei Meter auf die Seite und ließ mich demonstrativ auf den Rasen fallen. 'Verdammt, ich habe meine Krücke fallen gelassen', gab ich von mir und tatsächlich funktionierte dieser mehr als schlechte Trick. Die hübsche Rothaarige stoppte, hob die Krücke auf und brachte sie mir. Mit einem schelmischen Grinser stand ich auf und humpelte langsam auf sie zu. 'Na sowas, nicht nur ein schlechter Schauspieler, sondern auch noch ein Simulateur!' gab sie schlagkräftig zurück. 'Hehe, die Verletzung ist echt, aber mein Wurfarm hatte gerade nicht seinen besten Tag, das war zu offensichtlich'. Ich war im Gespräch mit ihr, kam aber nicht darum herum, das vorallem auf mein Aussehen zu schieben, diese schauspielerische Blamage konnte es wohl kaum gewesen sein. 'Ich hab dich hier noch nie gesehen, wie kommt das?' fragte ich und hoffte, so herauszufinden, wer sie war. 'Nun, normalerweise laufe ich eine andere Route, aber ich konnte nicht umher, mir die Speckparade einmal live zu geben!' Ich glaube ich hörte nicht richtig, sie war hübsch, schlagfertig und witzig. 'Ja, ist besser als Reality-TV von RTL 2. Ich bin Sorin, ich liege hier im Krankenhaus. Normal ist das nicht meine Art, eine Frau mit so einer Frage zu beleidigen, aber willst du mit mir einen Automatenkaffee trinken?' Sie lachte und nickte.
Im Foyer des Krankenhauses angekommen und jeder mit einer Beledigung der schlimmsten Sorte in unseren Plastikbechern, tauschten wir uns gegenseitig aus und lachten viel zusammen. Irgendetwas musste sie an mir finden, denn mit solch einer schlechten Anmache und diesem Kaffee, hätte ich wohl nicht mal bei einer der anderen 'Läuferinnen' eine Chance gehabt. Ich holte mir mit etwas mehr Eleganz ihre Telefonnummer, indem ich ihr sagte, dass ich einen Laden kannte, wo der Kaffee auch wie solcher schmecken würde und 1000 Mal besser war, was leicht zu glauben war und sie verabschiedete sich mit einem Kuss auf die Wange und stellte sich als Ioana vor. Kurz bevor sie um die Ecke bog, drehte sie sich nochmal um und da ich damit gerechnet hatte, lächelte ich sie an, verbeugte mich zu ihrem Winken und leerte demonstrativ und absichtlich den Rest des Kaffee's auf den Boden, was ihr nochmals ein Lächeln entlockte. Ein Krankenhausmitarbeiter stellte sich demonstrativ genau vor mich und verschränkte die Arme, doch ich schob ihn einfach mit einer abfälligen Handbewegung zur Seite, mit dem Kaffee unter seinen Sohlen rutschte er ziemlich leicht und elegant zur Seite. Ich verließ den Raum wortlos, beachtete die Schimpfworte, die mit die Putzkraft hinterher warf nicht und stolzierte glücklich in mein Zimmer zurück. Da hatte dieser ganze verdammte Krankenhausaufenthalt doch noch eine Bedeutung bekommen!
Quellen: Bogdan, Ioana |